Mittwoch, 19. August 2015

Disturbed "Fire it up"

In zwei Tagen erscheint das neue Studioalbum Immortalized der amerikanischen Band Disturbed, welches mit dem Song "Fire It Up" ein Lied über den Konsum von Marihuana enthält (s.u.). Ich muss gestehen, dass ich selber nicht erwartet hätte, diese Band jemals im Kontext von Drogenthematiken zu erwähnen. So gehört Disturbed zu den bekanntesten Metalabands der letzten zwei Jahrzehnte, man kann sie grob im Nu Metal verorten (Wikilink zu Nu Metal). Grundsätzlich scheint es mir, dass in der Metalszene das Thema Drogen eher selten angesprochen wird. So gibt es natürlich das typische Rockstarklischee des trinkenden und alle Arten von Drogen konsumierenden Musikers. Typisch hierfür ist bspw. eine Aussage von Motörheads Lemmy, der vor kurzem auf Spiegel Online äußerte, dass er damals (ganz selbstverständlich) "mit allem herumexperimentiert [habe], was so zu bekommen war." (Quelle). Etwas weiter im Interview führt er dann aber auch aus, dass er heutzutage nur noch Alkohol konsumieren würde. Die alterenden Rockstars haben sich also in diesem Sinne professionalisiert.
Diese Professionalisierung scheint mir in der Subszene des Metals noch deutlicher ausgeprägt zu sein. Die aktuellen Metalbands haben wenig mit den Rockstars der 60er bis 80er gemein. So fällt mir auch spontan kein Metallied ein, welches sich explizit mit dem Drogenkonsum beschäftigt und schon gar nicht eine Hymne auf eine Droge wie "Fire It Up" darstellt. Auf der einen Seite hängt das natürlich mit dem Vorurteil der eher düsteren, oft martialischen Lyrics zusammen. Beispielhaft dafür ein Auszug aus Disturbeds vermutlich bekanntesten Liedes "Down with the Sickness": "The world is a scary place / Now that you've woken up the demon ( In me!! )" (Video). Dieser Auszug ist natürlich verzerrend, ich will hier keineswegs die Vorurteile über Metallyrics noch weiter verstärken. Dennoch zeigt sich auf den ersten Blick doch eine gewisse Diskrepanz zum Musikgenre des Reggaes, das zu allererst mit Marihuana assoziiert wird.
Auf der anderen Seite habe ich wie schon angedeutet das Gefühl, dass in der Metalszene der Drogenkonsum eher verschwiegen wird. So wird der Alkoholkonsum zelebriert, andere Drogen sind jedoch nicht präsent. Deutlich werden sie erst, wenn wieder ein Musiker an Drogenkonsum stirbt. Die letzten beiden prominenten Beispielen hierfür waren Paul Gray von Slipknot sowie Wayne Static von Static-X, die beide (mutmaßlich) direkt bzw. indirekt am Drogenkonsum gestorben sind (Quellen zu den Todesursachen von Paul Gray und Wayne Static). Hierdurch bleibt jedoch unklar, wie verbreitet der Drogenkonsum in der Metalszene wirklich ist: Sind Paul Gray und Wayne Static Ausnahmen oder Stereotypen von Metalmusikern? Wie sieht es auf Seiten der Fans aus? Ich hoffe, dass ich noch einmal an anderer Stelle die Metallyrics wie auch die Szene selbst tiefer in den Blick nehmen kann, um Fragen wie diese zu untersuchen. An dieser Stelle bleibt es jedoch bei diesen losen Mutmaßungen, ich würde mich stattdessen abschließend lieber den Lyrics von "Fire It Up" zu wenden.
Der Song beginnt mit den typischen Geräuschen einer blubbernden Bong, bevor die Instrumente und anschließend der Gesang einsetzen. Der Text des Liedes ist im Ganzen sehr einfach gehalten. Im Form eines Parallelismus formuliert das lyrische Ich Konditionalsätze in den Strophen, um auszudrücken, wann es Marihuana konsumiert. Dass es sich um den Konsum mit Marihuana handelt, wird dabei nicht explizit erwähnt. Es lässt sich jedoch aus dem Text erschließen, der somit zugleich auf die verbreiteten Stereotypen der Wirkung von Graskonsum verweist.
So teilen sich die Ziele des Konsums in den Lyrics in zwei thematische Gruppen auf. Auf der einen Seite soll er den künstlerischen Prozess erleichtern. Hier fallen Begriffe wie "inspiration", "illumination" und "other side", um die das lyrische Ich die Substanz gewissermaßen bittet. Dem Marihuana wird also eine besondere Wahrnehmungsqualität zu gestanden, es würde Erlebnisse jenseits der Alltagserfahrungen ermöglichen und damit produktiv auf das künstlerische Arbeiten einwirken. Wichtig aber hier, dass das Gras nicht als ursächlich angesehen wird, sondern lediglich als Hilfsmittel: "So the rhythm can / No longer run and hide." Das Künstler-Ich bleibt der Schöpfer der Kunst, die Droge assistiert ihm lediglich, erleichtert aber seinen Prozess, wie der hymnische Text gewissermaßen selbst beweist.
Die andere thematische Gruppe der Wirkweisen ist eher profan. In diesen Strophen preist das lyrische Ich eher irdische Qualitäten wie "relaxation", "rejuvenation" und "serenity". Hier tritt also deutlich das etablierte Bild des entspannten Kiffers hervor, der die Droge als Entspannung zum Ausgleich des Alltags konsumiert.
Im Ganzen ist auffällig, wie sehr Marihuana hier angepriesen wird. Negative Wirkungen werden nicht einmal im Ansatz beschrieben. Dieses macht in meinen Augen auch das ungewöhnliche des Liedes aus: Mir fällt kein anderes Lied mit harten Gitarrenriffs und stampfenden Drums ein, dass textlich eine klare Marihuanahymne darstellt. Und von Disturbed hätte man es wohl auch kaum erwartet. Die Band scheint sich selbst diesem Umstands klar zu sein, sodass im Video permanent Hanfpflanzen auftauchem, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich über Marihuana singen - und in diese Richtung scheint mir auch die Funktion des Bonggeräusches am Anfang des Liedes zu gehen. Ein möglicher Grund dafür, warum Disturbed auf einmal so offensiv mit dem Thema Drogen umgeht, könnte in meinen Augen die gewandelte Stimmung in den USA sein, in denen Marihuana mittlerweile in einer Reihe von Bundesstaaten legalisiert ist. Es gibt also keinen Grund mehr, zumindest in diesen Staaten auf Insidermetaphern oder versteckte Anspielungen zurückzugreifen.

Montag, 8. Juni 2015

"Dumbo"

Auch im Animations- bzw. Zeichentrickfilm ist die Darstellung von Rausch immer wieder ein Thema, ein sehr prominentes Beispiel hier für ist der frühe Disney Film Dumbo (R.:  Samuel Armstrong, Norman Ferguson et. al.; USA 1941), der eine auffällig lange und künsterlisch überaus interessante Rauschszene beinhaltet. Dumbo, ein junger Elefant der aufgrund seiner zu großen Ohren nicht im Reigen der Zirkungselefanten bestehen kann und so im Zuge der tragischen Handlung wider seines Willens der Gruppe der Clowns beitreten muss, trinkt unwissend aus einem Trog, in dessen Wasser kurz zuvor eine Flasche Sekt gefallen ist. Bevor der Film jedoch den Rausch Jumbos abbildet, wird der Rausch zunächst einmal verborgen:
Abbildung 1: Feier der Clowns in "Dumbo" R.:  Samuel Armstrong, Norman Ferguson et. al.; USA 1941). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Die trinkintensive Feier der Clowns, die ihren gelungenen Auftritt feiern, wird als Schattentheater inszeniert. So sieht man nur die Konturen der sich schnell und äußerst agil bewegenden Körper, wobei diese Körperhandlungen insofern weniger als Rausch auffallen, als das sich die Clowns bei ihrem Auftritt in der Manege ähnlich ausgefallen bewegt haben. Entsprechend werden immer wieder Flaschen gezeigt und gerade der Moment des Eingießens wiederholt inszeniert. Dass es sich hierbei um alkoholische Getränke handelt, machen nicht zuletzt die genutzten Gefäße wie Pokale und Schuhe deutlich.
Nachdem Dumbo und sein Begleiter reichlich aus dem Trog getrunken haben, was durch hängende Augenlider und eine dumpf lächelnde Mimik ausgedrückt wird, beginnt Dumbo damit, verschieden geformte Seifenblasen entstehen zu lassen. Diese verformen sich im Anschluss zu Elefanten und nehmen die Farbe Rosa an. Hierbei handelt es sich um ein kulturelles Chiffre, so bedeutet die Aussage, dass man rosa Elefanten sieht, im englischen Sprachraum das Erleiden einer alkoholbedingten Halluzination (Gene Gable setzt sich näher mit diesem eigentümlichen Phänomen auseinander: Link). Ab diesem Zeitpunkt beginnt ein regelrechtes Formenfestival:
Abbildung 2: Teil eins der Rauschszene in "Dumbo" R.:  Samuel Armstrong, Norman Ferguson et. al.; USA 1941). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.

Diese karnevaleske Figurenparade ergießt sich, wie in Abb. 1 deutlich wird, in andauernder Formentransformation. Die Formen wechseln permanent ihre Größe, sie zerfallen und bilden sich neu zusammen, wobei sie eine Art von Marsch vollziehen, der letztlich sogar durch eine Nahaufnahme Dumbos läuft. Interessant ist hier sicherlich, dass der Film zwei Jahre vor Albert Hofmanns LSD Experimenten entstand, da er Wirkungen zeigt, die eher an diese Substanz denn an Alkohol erinnern. Andererseits geht es in diesen Szenen aber wohl auch eher um eine Art künstlerisches Austoben, dass das Medium des Rausches nutzt, um sich selbst zu erkunden. So ist es sehr interessant zu sehen, wie virtuos die Formen entstehen und vergehen, wie sie sich aufspalten und wieder verschmelzen und immer wieder neu entwachsen. Sie verweisen somit in überzeichneter Weise doch wieder auf die Wirkungen bestimmter psychoaktiver Pflanzen, die vom Alltag abweichende Wahrnehmungen ermöglichen. So unterlaufen sie bspw. halluzinativ gewohnte räumliche Strukturen.
Aus dieser Ungebundenheit der räumlichen Anschauung, die dem Animationsfilm entgegenkommt, entstehen dann im zweiten Teil der Rauschszene eher beängstigende Formen:
Abbildung 3: Teil zwei der Rauschszene in "Dumbo" R.:  Samuel Armstrong, Norman Ferguson et. al.; USA 1941). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
In einem fast schon alptraumhaften narrativen Fragment marschieren die Elefanten durch ein surreal anmutendes Treppenhaus, um sich anschließend um einen verängstigten, im Bett liegenden Elefanten zu formieren. Es kommt zu Umschwüngen der vertikalen Achse, auch anschließend verfließen die Formen und wechseln wild ihre Farbe. Die Phantasie entwächst hier also unkontrolliert den Zwängen der alltäglichen Wahrnehmung und überwältigt so Dumbo und seinen Begleiter, die dadurch zunehmend in eine machtlose Rolle geraten.
So kommt es, wie Abb. 2 zeigt, zwischendurch zur Auflösung jeder Form. Das Bild ist von bunten Flecken übersät, die sich damit der klaren Sinnzuschreibung entziehen. Die Elefanten selbst präsentieren sich nun deutlich düsterer, ihre Augen bestehen nur aus schwarzen Flecken, die einen eher bösartig gesinnten Charakter vermitteln. Anschließend wird das Formenspiel immer freier, aus den Elefanten werden Pyramiden, Schlangen und abschließend ein Augapfel. Jede dieser Variationen birgt eine Reihe symbolischer Anspielungen. Der auffällige Kontrast zwischen dem schwarzen, bösartig wirkenden Tierauge und dem buntgefärbten menschlichen Auge inszeniert einen deutlichen Stilbruch, wodurch das letztere Auge als Anspielung auf andere Kunstwerke erscheint. Gleichzeitig stellt es in der Verbindung mit der Pyramide eine Anspielung auf die Symbolik der Illuminati dar. Eine weitere Anspielung eröffnet sich in Zusammenhang mit der Schlange, welche im biblischen Kontext auf den Baum der Erkenntnis verweist, da das Auge ebenso als Symbol für die Erkenntnis angesehen werden kann.
Diese sehr freien Deutungen der Bilder verweisen auf ihre assoziative, schweifende Struktur. Diese Struktur wie auch die Bilder selbst erinnert mit ihrem mannifaltigen, traumartigen Gehalt stark an surrealistische Künstler wie Salvador Dalí. Die Bilder können so beispielsweise als Werk eines entgrenzten (Unter)Bewusstseins gelesen werden, das den Reglementierungen des Wachzustandes nicht länger obliegt. Sie verweisen damit auf eine assoziative Verbindung der Bildfolgen, von der die gesamte Szene stark geprägt ist.
An surrealistische Filme erinnert auch das Ende der Szene, wenn es zur Inszenierung von Geschwindigkeit kommt. Die Elefanten formen sich zu Rennwagen und Zügen und rasen sehr schnell durchs Bild, gleichzeitig ergeht sich der Hintergrund in schnellen Farbwechseln. Diese Schnelligkeit steigert sich immer weiter, unzählige Gefährte rasen durch das Bild und die Hintergrundfarbe flackert nur noch. So kommt es unweigerlich zum Kollaps, die Formen explodieren und sinken in einem malerischen Sonnenaufgangshimmel herab, wo sie sich zu Wolken verformen und damit erneut stark an die Bilder Dalís erinnern. Dieses stellt dann auch den Abschluss der Szene dar, aus den phantastischen rosa Elefanten werden, die aus dem Alltag gewohnten, rötlich gefärbten Wolken des Morgenhimmels.
Dieser Beitrag konnte selbstredend nur auf einen kleinen Teil dieser sehr reichhaltigen Szene eingehen. Auffallend ist jedoch im jedem Fall, dass diese Szene gerade durch die Rahmung innerhalb eines Kinderfilmes sehr eigenwillig und ungewöhnlich ist. Sie konfrontiert den Zuschauer mit karnevalesken Vorstellungsschauern durch Rausch enthemmter Bewusstseine und zeigt so, wie der Rausch die alltagsnormierten Strukturen der Vorstellung unterläuft.

Mittwoch, 8. April 2015

"Hangover in High Heels"

Kehrtwende vom Experimentellen zum Populären: Handelte es sich bei dem Kurzfilm des letzten Beitrags um ein ästhetisch eher ungewohntes Werk, thematisiert dieser Beitrag in diesem Sinne das genaue Gegenteil. Die Rede ist von der SAT.1 Eigenproduktion Hangover in High Heels (Deutschland 2015, R.: Sven Bohse), die vor kurzem Fernsehpremiere feierte und nicht nur namentlich eng an die Hollywoodproduktion The Hangover (USA/DE 2009, R.: Todd Phillips) angelehnt ist. Getreu dem Namen überrascht auch die Eröffnungsszene des Filmes wenig, welche in The Hangover lediglich etwas später zu finden ist und dort wiederum Assoziationen an unter anderem Fear and Loathing in Las Vegas (USA 1998, R.: Terry Gilliam) wachruft.
Alle diese Szenen präsentieren das Aufwachen von Protagonisten, die am Abend zuvor einen ausschweifenden (Drogen)Rausch erlebt haben und in diesen ersten Momenten des Erwachens zwischen Orientierungslosigkeit und Klarheit schwanken. Oft liegen die Erinnerungen (noch) im undurchsichtigen Nebel der Ausschweifung der letzten Nacht, nur langsam beginnt ihr Verstand wieder einzusetzen und Prozesse der Verortung einzuleiten. Die Szenerie ist hierbei oftmals ein Hotel, welches als Transitort wohl nicht ganz zufällig gewählt ist. Die Protagonisten befinden sich oftmals auf einer Reise (typischer Weise nach Las Vegas), dank derer sie die alltäglichen Hemmungen erst fallen lassen und sich dem Rausch ganz hingeben können. Das Hotelzimmer hält hierbei einerseits als klar umgrenzter Ort die Ordnung aufrecht, gleichzeitig wird das Hotelzimmer im Verlauf des Abends selbst zum Ort der Verwüstung, wenn sich die Protagonisten auch einmal in Rockstarmanier ausleben wollen. Der Ort des Hotels ist also selbst einem Wandel unterworfen, wobei er durch seinen planmäßigen Aufbau und durch die Routine des Reinigungspersonal in der Regel immer wieder schnell in seinen Ausgangszustand zurückversetzt werden kann, die Spuren des Ausschweifens also zumindest räumlich restlos getilgt werden können. Das Hotel hat jedoch auch ganz konkrete Bedeutung für die Handlung: Durch ihr neutrales Aussehen können sich die Protagonisten in den Räumen zumindest in den ersten Momenten des Erwachens nicht verorten, sie finden sich an einen fremden Ort wieder, der erst durch ihre wiederkehrende Erinnerung geographisch bestimmt werden kann. Hangover in High Heels variiert nun diese Szenerie leicht, aus dem Hotelzimmer wird die Dachterrasse eines Hotels:
Abbildung 1: Eingangssequenz 'Hangover in High Heels' (Deutschland 2015, R.: Sven Bohse). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Die Szene beginnt mit einer Kamerafahrt unter Wasser, die Kamera schwebt hierbei durch einen mit Sektflaschen und Gliedmaßen getränkten Pool, wobei ästhetisch interessante Aufnahmen entstehen. In gewisser Weise ahmt der Film hier den Prozess des Aufwachens des (ehemals) Berauschten nach, da der Zuschauer nur zusammenhanglose Indizien wie einzelne Körperteile erblicken kann, die er in ihrer Bedeutung noch nicht recht zuordnen kann. Durch das Auftauchen der Kamera blickt der Zuschauer anschließend in das Gesicht einer auffallend maskierten Person; spätestens jetzt ist klar, dass es sich bei dem Innenleben des Pools um die Folgen einer ausschweifenden Partynacht handelt. Die Kamera wechselt dann in den subjektiven Blick eben dieser Person, zum Vorschein kommt ein Flöte spielender Mann in traditioneller Indiokleidung. Hier werden die Verweise zu The Hangover oder Fear and Loathing in Las Vegas deutlich, auch in diesen beiden Filmen erwacht der Zuschauer gewissermaßen mit den Protagonisten und wird genau wie sie mit einer ungewöhnlichen, beinah surrealistischen Umwelt konfrontiert, deren Ausprägungen für ihn in den Moment nicht rational erklärbar sind; hier sei nur bspw. der Tiger im Badezimmer in The Hangover erwähnt. Alle diese Filme referieren damit auf die Wirkung des Gedächtnisverlustes bestimmter Drogen wie bspw. des Alkohols, der Konsument kann sich nicht mehr an seinen Rausch erinnern und wird nun mit den Konsequenzen seiner ausschweifenden Handlungen konfrontriert.
Dass ein Rausch stattgefunden hat wird dabei oftmals durch die Abbildung von Katersymptomen expliziert, vornehmlich durch die Maske. So fällt in Hangover in High Heels das völlig entstellte Makeup auf, hinzu tritt die ungewöhnliche Kleidung wie die Maske und das Hochzeitskleid, wobei letzteres durch seinen ramponierten Zustand ins Auge sticht. Unterstützt wird das Ganze durch die Mimik, die Augen werden entsetzt aufgerissen, der Körper präsentiert sich unkoordiniert. Die Protagonisten hier finden jedoch sehr schnell in ihre Rolle zurück, so wird die jüngere Protagonist direkt durch die ältere harsch darauf angesprochen, was denn geschehen sei; sie wird dabei gesiezt, was in Anbetracht der mutmaßlich zusammen verbrachten Nacht irritiert. Die ältere Frau wird dann direkt davon in Kenntnis gesetzt, dass eine (scheinbar sehr wichtige) Akte verschwunden sei, beide finden also sehr schnell nach dem Aufwachen in ihre alltäglichen Rollen zurück, zugleich wird damit direkt der Plot des Films offenbart: die Rekonstruktion der Partynacht zwecks Wiederfinden eben jener Akte.
Dabei sei aber erwähnt, dass der Film sich aus dieser doch recht schlichten Handlungskonstruktion etwas befreien kann. In den nächsten zwanzig Minuten wird die Vorgeschichte dieser Nacht und damit auch der beiden Protagonisten zu sehen sein, wobei auch diese etwas einseitig wirkt: Die blutjunge, unerfahrene, latent linksorientierte Berufsanfängerin in Mauerblümchen Outfit und mit punkiger Schwester fängt bei einer elitären, stockkonservativen Anwaltskanzlei an, wobei ihre Vorgesetzte das harsche 'Alphaweibchen' ist, welche sie fortan durchgehend radikal kritisiert und brutal ausbeutet. Wie gesagt kann sich der Film aus diesen Stereotypen jedoch etwas befreien, da er u.a. andeutet, wie die ältere Protagonisten durch ihren täglichen Kampf mit herablassenden Vorurteilen im konservativen Juristenmilieu zu der Person geworden ist, die sie jetzt ist, d.h. durch die äußerliche Abhärtung immer stärker ihre inneren Ideale verloren hat. Hier kommt es also zu durchaus gesellschaftskritischen Ansätzen, wenngleich die Charakterzeichung doch immer von einer gewissen Oberflächlichkeit geprägt bleibt.
Aber zurück zu den Rauschszenen: Nach 20 Minuten erlebt der Zuschauer die Anfangsszene erneut, diesmal jedoch aus der Perspektive der älteren Protagonisten; zuvor ist der (mutmaßliche) Beginn der Partynacht zu sehen:
Abbildung 2:Wiederaufnahme der Eingangssequenz 'Hangover in High Heels' (Deutschland 2015, R.: Sven Bohse). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Die beiden Protagonistinnen besuchen eine Abendveranstaltung, wobei wieder die beschriebenen Konflikte aufbranden. Allerdings lässt sich die ältere Protagonist durch das Wiedertreffen mit einem alten Bekannten dazu hinreißen, Alkohol zu konsumieren. Anschließend wird der Bildschirm schwarz und wir sehen die erwähnte Wiederholung der Anfangsszene, wobei durch den Perspektivwechsel neue Informationen hinzutreten. So findet sich auch hier ein kurzer Blick in die subjektive Perspektive, wobei der Protagonistin auffällt, dass sie deutliche Wundmale am Handgelenk hat, die sie anschließend wieder schnell unter ihrem Ärmel versteckt; es kommen also neue Rätsel hinzu, die durch den Gedächtnisverlust ausgelöst wurden und aufgelöst werden wollen. Die Szene läuft anschließend jedoch länger als die Anfangsszene, der Manager des Hotels taucht auf. Er konfrontiert sie mit dem Umstand, dass sie keine Gäste in dem Hotel sind und den angerichteten Schaden beheben sollen, auch diese Protagonist findet jedoch sehr schnell in ihre Anwaltsrolle zurück und kann so den Angriff des Hotelmanagers parieren; sinnbildlich hierfür die Sonnenbrille, welche die gezeichneten Augen verbirgt und der Figur so ihre äußerliche Unangreifbarkeit wiedergibt.
Ich will nun an dieser Stelle nicht weiter auf die Handlung eingehen, da Rausch und Kater zunehmend nachlassen und nicht weiter relevant sind; ebenso brigt die Handlung noch die ein oder andere Überraschung, die ich nicht vorweg nehmen will. Stattdessen will ich noch kurz auf zwei Rauschszenen eingehen, die wenig über den Plot verraten. In der ersten Szene handelt es sich um eine Nachwirkung der Partynacht am nächsten Tag, konkret zeigt sich hier eine verspätet einsetzende Wirkung von MDMA. Beide Protagonisten sitzen offenkundig verkatert in einem Gespräch mit Mandanten, wobei es immer wieder zu kleinen Irritationen wie ungewöhnlichen Verhalten kommt. Diese Irritationen eskalieren jedoch, da die erfahrenere der beiden Anwältinnen Halluzinationen und damit verbunden einen Kontrollverlust erleidet. Vorboten sind ein verzerrter Gesichtsausdruck, filmisch wird die einsetzende Halluzination und damit der Blickwechsel hinein in die Perspektive einer der Figuren neben musikalischen Andeutungen durch einen Dolly-Zoom realisiert. Bei einem Dolly Zoom entsprechen sich Kamerafahrt und Zoom komplementär, d.h. während die Kamera sich auf das Objekt zu oder weg von diesem bewegt, vollzieht der Zoom eine Bewegung in die gegenteilige Richtung. Das Bild wird dadurch in seinen Dimensionen für den Zuschauer schwer abschätzbar und es kommt zu Schwindeleffekte; erstmals eingesetzt wurde der Effekt in Vertigo (USA 1958, R.: Alfred Hitchcock) (Link zur entsprechenden Szene), prominent kam er bspw. auch in Jaws (USA 1975, R.: Steven Spielberg) vor (Szene). In Hangover in High Heels markiert diese Technik sehr gut das Herausfallen aus der alltäglichen Weltwahrnehmung durch die Protagonist, sie verliert die für sie so entscheidende Kontrolle:
Abbildung 3:Nachwirkung des MDMAs in 'Hangover in High Heels' (Deutschland 2015, R.: Sven Bohse). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Konkret sieht sie in ihrer Halluzination ihre Mandanten eine Art archaisch-rituelle Handlung vollziehen, sie klopfen sich mit der Faust rhythmisch auf den Oberkörper, woraufhin sie die Taten nachahmt, wobei sie sich während der Nachahmung nicht mehr nur in der Imagination aufhält. Die ganze Szene ist eher humoristisch gestaltet, etwas freier interpretierend könnte man aber auch hier eine subtile Kritik an der rückwärtsgewandten Weltsichten vieler männlicher Figuren des Films ausmachen, die die Attribute des 'klassischen Machos' voll ausfüllen.
Zum Abschluss sei noch kurz auf die finale Szene des Films eingegangen, die sich tendenziell eher als Abspann präsentiert und dem Zuschauer endlich Ausschnitte aus der vergessenen Partynacht zeigt, wobei in den Ausschnitten die eigentlich handlungsrelevanten Szenen immer noch ausgespart werden:
Abbildung 4:Abspann 'Hangover in High Heels' (Deutschland 2015, R.: Sven Bohse). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
In schnellen Schnitten sind ekstatisch Feiernde zusehen, die dynamische Kamera fängt schnappsschussartig Augenblicke der Partynacht ein, die sich weniger durch ihren Handlungs- und mehr durch ihren Affektgehalt auszeichnen. In der ästhetischen Gestaltung ist das Gegenlicht auffällig, wobei das Bild auffallend nüchtern und graulastig wirkt, hierzu passt, dass das Gegenlicht und auch die Nebelschwaden eher im Hintergrund sind und nicht wie in anderen Filmen einen Großteil des Bildes dominieren. Ursache hierfür ist mutmaßlich ein sehr starkes Führungslicht, wodurch die Bilder wie unter Blitzlicht aufgenommen wirken und eben hierdurch den Schnappschusscharakter erhalten. Etwas mutmaßend ist diese Hochglanzoptik vielleicht auch eine Konsequenz der zeitgenössischen Feierkultur, die durch die Fototechnik moderner Handys keinesfalls mehr in unterbelichteten und verschwommenen Fotos festgehalten wird. Inhaltlich verweist die Szene jedoch auch auf eines der positiven Merkmales des Rausches: Er kann Gemeinschaften stiften und so Menschen verbinden, so wird diese Partynacht in Hangover in High Heels letztlich zur Initialzündung der 'Verbrüderung' der beiden Anwältinnen gegen das diskriminierende Gebären ihrer männlichen Kollegen.

Montag, 23. März 2015

"Trypps #7 (Badlands)" (Ben Russel, 2010)

Abseits vom Mainstream ist der Drogenrausch natürlich auch in experimentellen Filmen ein Thema, weswegen ich mich in diesem Beitrag mit dem Filmemacher Ben Russel beschäftigen möchte, dessen Produktionen (leider) nur einem kleinen Publikum bekannt sind. Konkret geht es um seinen Kurzfilm "Trypps #7 (Badlands)" (Film weiter unten), der als Nr. 7 zu einer Reihe von filmischen Erkundungen gehört, die zum Teil auf Russels Vimeo Profil abrufbar sind. Russel selbst bezeichnet die Filme dieser Reihe als “an ongoing study in trance, travel, and psychedelic ethnography.” (Quelle). Chris Stults betont entsprechend die wechselseitige Wirkung der Filme untereinander, wenn er in Bezug auf die gemeinsame Ausstellung der ersten sechs Filme schreibt: "While each of the films is a satisfying, highly unified work on its own, when shown together they buttress each other and the heterogeneous films begin to develop a sophisticated and paradoxical argument about what a “trypp” is." (C. Stults: "The Trypps – Short Films by Ben Russell", URL 16.03.2015) Diesem Beitrag ist dadurch immer schon ein Mangel eingeschrieben, da er weder eine konkrete Ausstellungssituation noch die wechselseitige Wirkung der Filme in den Blick nimmt, sondern seinen Blick auf das blanke, einsam dastehende siebte Elemente der Reihe richtet. Zugleich hat der Film in meinen Augen aber nicht zuletzt genug Eigenständigkeit, um auch der singuläre Analyse mehr als ausreichend 'Stoff' zu liefern.
Dass das Thema des Films jedoch der Drogenrausch ist, lässt sich explizit nur durch den Verweis auf die übergeordnete Filmreihe sowie auf Paratexte wie den Titel des Videos bzw. auf seine Beschreibung rechtfertigen. Dennoch gibt es auch innerhalb des Filmes Hinweise, die die Lesart des Drogenrausches nahelegen. Das erste Drittel des Filmes zeigt in einer Nahaufnahme eine junge Frau vor einer Gebirgskulisse, sie blickt während dessen permanent direkt in die Kamera. Durch ihre starre, gleichbleibende Körperhaltung lenkt sich der Blick des Zuschauers so auf die Mimik der Frau, die viele Veränderungen durchläuft und auf Geschehnisse in ihrem Inneren verweist. Sie hält lange ihre Augen geschlossen, öffent sie für einen leeren, versunkenen Blick, dann zeichnet sich immer deutlicher ein Lächeln in ihrem Gesicht ab. Alle diese Vorgänge gebieren sich aber kaum als Spiel mit der Kamera, also mit dem Betrachter, sondern wirken oft selbstbezogen, unterstützt von einem lauten, lange nachhallenden Gong, der an Meditationspraktiken erinnert. Sie scheint sich also mit Vorgängen in ihrem Inneren zu beschäftigen, was deutlich an den Drogenrausch erinnert, dessen Schauplatz das Bewusstsein des Berauschten darstellt.
Dieses offenbart zugleich die Grundparadoxie, die den Film in diesem Zusammenhang interessant macht: Er stellt sich als offene Konfrontation mit seiner Hauptfigur da, er stellt sich ihrem äußeren Ausdruck entgegen und verzichtet so auf die Einnahme ihrer Perspektive, ist in diesem Sinne also radikal objektiv. Dieser letzte Aspekt könnte ein Grund dafür sein, warum diese Filmreihe Russels oft als Reflektion des Mediums Film aufgefasst wird, da der Film immer schon mit der Grundproblematik kämpft, aus 'objektiven' Bildern zu bestehen (diese Behauptung ist sicherlich etwas pauschalisierend, da es auch Versuche der 'subjektiven' Perspektive sowie bspw. auch symbolisch aufgeladene Szenographien als Abbild innerer Bewusstseinszustände und viele weitere Ansätze gibt). Zugleich zeigt sich aber auch schon im Anfang dieses Kurzfilm wie brüchig die Kategorie des Objektiven immer schon ist, da der Zuschauer in meinen Augen mit der Figur hier immer schon mitfühlt, sich in sie hineinversetzt, vielleicht durch Empathie nachzuvollziehen versucht, was in ihr vorgeht, wie die Ausgestaltung ihrer Gefühle ist usw. Unterstützt wird dies durch den Gong, dessen langes Nachhallen eine immersive Wirkung hat, da der Zuschauer hier auditiv in den Film gezogen wird. Zugleich führt diese Reduktion, wie etwa auch die minimale Kamerabewegung, zur größeren Konzentration auf und Einfühlung in die Figur. Ein anderer Aspekt ist, dass durch den Blick frontal in die Kamera auch die Distanz infrage gestellt wird, da die Figur den Zuschauer gewissermaßen zurück anblickt, sie fokussiert ihn genau wie er sie fokussiert.
Kurz darauf kommt es zum Bruch im Film, wodurch die Frage der Wahrnehmung endgültig in den Mittelpunkt rückt. Die Bild beginnt sich nach unten und oben zu bewegen, es sieht aus, als würde sich das Kameraobjektiv heben und senken. Dieser Zwischenzustand wird so zum Schwellenzustand der objektiven Bilder, da angekommen werden kann, dass die Kamera nun mehr die Wahrnehmung der (mutmaßlich) berauschten Figur nachzubilden beginnt. Diese Bewegung mündet dann in ein Überschlagen des Bildes, wodurch sich auch die Ursache und die Grundkonstellation des Filmes offenbart: Gefilmt wurde nicht die Figur direkt, sondern ihre Spiegelung auf einem doppelseitigen Drehspiegel, der nun immer schneller in Bewegung gesetzt wird. Begleitet wird der Vorgang von häufigeren Glockenschlägen, deren Nachhall immer mehr zu einem Dröhnen wird.
Es kommt also zur Irritation des Zuschauers, im Stile einer Enthüllung offenbart sich das illusionistische Bild nur als Spiegelung. Aber auch das Bild selbst muss den Zuschauer irritieren, überschlägt es sich doch regelrecht und konfrontiert ihn mit einer Flut ungewohnter Blickperspektiven. Versteckt wird die Irritation gegen Ende hin durch verschiedene Zooms und Effekten wie z.B. der Überbelichtung. Der Film endet in einer Weißblende, mit der er auch begann, hier schließt sich also der Kreis.
Der Film als Ganzes löst so in meinen Augen eine Reihe von Assoziationen aus, die sich auf der einen Seite auf das filmische Medium selbst sowie auf der anderen auf die Darstellung des Rauschzustandes beziehen. Der Spiegel wird im Film selbst eingeführt, er kann metaphorisch auf beide Aspekte bezogen werden. Der Spiegel  lässt immer nur den Blick von Außen zu, er spiegelt das Äußere eines Menschen oder eines Dingens, verzerrt es dabei notwendig und doch ist das Spiegelbild oftmals nicht vom Original zu scheiden. Dieses Problem als auch Potenzial trifft wie schon angedeutet auch auf den Film zu, er kann eine illusionistische Welt errichten, in die der Zuschauer eintaucht. Er kann gleichzeitig Figuren aber immer nur von Außen zeigen, sozusagen nur die äußerlichen Ausprägungen ihres Inneren bspw. in Gestik und Mimik wiedergeben.
Gleichzeitig will (und kann) er diese Grenze immer auch überschreiten. Betrachtet man etwa den Film von Russel, könnte man ausführen, dass das rasende Bild des drehenden Spiegels die Reizüberflutung des Drogenrausches wiedergibt, er sich also von der äußeren, 'objektiven' Darstellung einer berauschten Figur in die Erkundung und Repräsentation der inneren Wahrnehmung transformiert. Hier zeigt sich der experimentelle Charakter des Films, er bricht Konventionen und versucht neue Darstellungsarten, wodurch er immer auch nach den Grenzen des filmischen Mediums fragt. Dieser experimentelle Anspruch passt optimal zur Darstellung des Drogenrausches, da auch hier grundsätzlich die Problematik besteht, dass sich der Drogenrausch innerhalb einer subjektiven Wahrnehmung abspielt, die an sich nicht wiedergegeben werden kann. Der Film repräsentiert hier prototypisch den Wandel in der filmischen Darstellung von Rausch, aus der distanzierten Abildung einer berauschten Person wird die experimentelle Erkundung der Darstellungsmöglichkeit von subjektiven Wahrnehmungsphänomenen. Dieses ist aber sicherlich nur eine mögliche Deutung von Russels Film, der in seinem offenen Charakter eher die freie Assoziation und schweifende Kontemplation denn die dechiffrierende Entschlüsselung im Zuschauer zu fördern scheint.

 
TRYPPS #7 (BADLANDS) from Ben Russell on Vimeo.

Sonntag, 1. März 2015

Action Bronson: "Easy Rider"

Ein weiteres kommödiantisches Bespiel der Darstellung des Drogenrausches stellt das Musikvideo zu Action Bronsons "Easy Rider" aus dem Jahr 2014 dar (Video s.u.), die Regie führte Tom Gould. Der us-amerikanische Rapper Action Bronson spielt in dem Video selbst die Hauptrolle, dass als - wie der Name schon andeutet - Hommage an den Film Easy Rider (USA 1969, R.: Dennis Hopper) gestaltet ist. Nachdem in den Eingangsszenen gezeigt wurde, wie Bronson als namenloser Soldat wild um sich schießt und anschließend im Militärkrankenhaus liegend seinen militärischen Vorgesetzen vehement nach seiner Gitarre fordert, setzt der Vorspann ein. Es erscheint mir nebenbei bemerkt ein Trend der letzten Jahre zu sein, dass viele Musikvideos Vorspannsequenzen aufweisen, vielleicht eine Konsequenz davon, dass sich Musikvideos nach ihrer ersten MTV-Hochphase durch neue Kanäle wie Youtube wieder neuer Beliebtheit erfreuen. Der Vorspann dieses Videos reinszeniert nun sehr detailgetreu den Vorpann bzw. Motive von Easy Rider:
Abbildung 1: Eingangssequenz 'Easy Rider'. Quelle: Musikvideo 'Easy Rider' v. Action Bronson, R.: Tom Gould. Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Formal sticht direkt die Typographie und die Positionierung der Schriftzüge ins Auge, die sehr genau der von Easy Rider entspricht. Auch die Einstellungen sind sehr ähnlich: Die Kamera fährt neben dem Hauptproganisten her, sie zeigt ihn dabei aus verschiedenen Perspektiven, die oft in nahen Aufnahmen Details wie etwa den rollenden Vorderreifen fokussieren. Diese Aufnahmen wechseln sich mit Totalen ab, die die Landschaft, bzw. genau genommen die leere, weite Straße, inszenieren. Zentrale Motive sind also die Bewegung und die Freiheit, die durch dynamische Aufnahmen vermittelt werden und inhaltlich dem Motiv des Bikers entsprechen, der als eine Art motorisierter Cowboy für Freiheit und Erkundungsdrang steht. Dieses Motiv wird in dem Musikvideo humoristisch gebrochen, da Bronson lediglich ein Krankenhaushemd trägt, wodurch er das Motiv des Bikers unterläuft.
Anschließend nimmt das Musikvideo ein weiteres inhaltiches Motiv aus Easy Rider auf, welches es in diesem Rahmen interessant macht: den Konsum von LSD. Broson trifft bei seiner Reise an einer Tankstelle auf eine junge Frau, bei der er - nachdem der Beischlaf erfolgreich vollzogen wurde - LSD konsumiert. Das restliche Video zeigt ihn dann vom LSD berauscht durch die Welt wankend, er zettelt eine Kneipenschlägerei an, gerät mit der Polizei in Konflikt und ihm erscheint ein indianischer Schamane innerhalb einer Vision. Das Ganze ist ästhetisch auffällig inszeniert:
Abbildung 2: Rauschszenen 'Easy Rider'. Quelle: Musikvideo 'Easy Rider' v. Action Bronson, R.: Tom Gould. Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Es fallen verschiedene Techniken auf, so u.a. das expressive und überzeichnete Schauspiel von Bronson, der mal mit weit aufgerissenenen Augen, mal mit einem enthemmten Schrei dem Rausch begegnet. Sein Schauspiel wird dabei durch viele Groß- und Nahaufnahmen in Szene gesetzt. Des Weiteren taucht der Zuschauer direkt in seine Perspektive ein. Diese subjektiven Perspektiven zeichnen sich durch das verzerrte Bild aus, das Gesicht des (mutmaßlichen) Indianers wie auch die Landschaft werden durch digital realisierte Störungseffekte der Linse gebrochen. Sie verweisen auf den Einfluss von LSD auf die Wahrnehmung, in diesem Fall verschwimmen die Konturen, wodurch sich die feste Struktur der Bilder auflöst. Inhaltlich wird diese Drogenerfahrung als Bewusstseinsreise dargestellt, die Hauptfigur scheint insbesondere durch die Visionen Einsichten über ihr Leben zu erlangen. Der konkrete Inhalt dieser Erkenntnis präsentiert sich jedoch wieder als Parodie: Bronson trifft am Zielpunkt seiner Reise auf eine Kirche, in der eine Gitarre als Heiligensymbol präsentiert wird. Im Schlussbild steht er dann im Sonnenuntergang auf einem Hügel und spielt virtuose Gitarrenriffs, er scheint also letztlich ganz in der Musik aufzugehen, was das Ziel seiner Suche gewesen sein könnte. Auch dieses Motiv ist aus Easy Rider übernommen und drückt in meinen Augen den Moment der Freiheit aus, den der Reisende in der menschenleere Wüste und in (drogenbedingter) Symbiose mit der Natur erfährt.

Mittwoch, 11. Februar 2015

"Drugs" (9GAG)

Als Nachtrag zum humoristischen Wahlplakat der Piratenpartei hier noch eine Grafik, die ich vor kurzem auf der Seite 9GAG fand (s.u.). Sie stellt in überzeichneter Form die gesellschaftlich dominanten Ansichten über die Wirkungsweisen verschiedener Drogen dar; so wird etwa die entspannende Wirkung von Marihuana betont, der aufputschende Alkohol, das enthemmende Ecstasy usw. Ausgedrückt werden diese kollektiven Vorurteilen u.a. durch die zeichnerische Gestaltung des Gesichtes, auffällig etwa die geröteten Augen des Marihuana Konsumenten oder der verzerrt-entstellte Gesichtsausdruck des Crystal Meth Konsumenten. Weiteres Darstellungsmittel ist der nonverbale Ausdruck der Figuren, insbesondere die Gestik, die bestimmte wertende Konnotationen vermittelt. Der Marihuanakonsumt erzeugt mit seinen offenen Armen und dem zurückgebeugten, eingesackten Oberkörper einen freundlichen, offenen Eindruck, der Alkohol Konsument erzeugt durch den vorgeschobenen Unterkiefer und die, an eine Abwehrhaltung erinnernde, Armhaltung einen latent aggressiven Eindruck; der Ecstasy Konsument vermittelt durch die ungewöhnliche Haltung insbesondere des linken Armes einen dynamischen, enthemmten Eindruck usw.
Auffällig sind in dem Zusammenhang der Konnotationen auch die Kleidungsstile der jeweiligen Konsumenten, der Crystal Meth Konsument trägt ein verschlissenes T-Shirt, der Ecstasy Konsument nur ein Unterhemd, der Pilz Konsument einen Kapuzenpullover. Auch hier scheint es also ganz bestimmte Vorstellungen zu geben, in welchen gesellschaftlichen Kreise welche Drogen konsumiert werden, bzw. in welche sozialen Schichten einen der Konsum bestimmer Drogen befördert. Auch historisch können die Hochphasen bestimmter Drogen klar verortet werden, deutlich in Anbetracht der altertümlichen Kleider des Opiumkonsumenten oder den pinken Brillengläsern und den Gummiarmbändern des Ecstasy Konsumenten, die wie typische Accessoires der 1990er Jahre wirken.
Kurz gesagt: Es scheint also stark vereinheitlichte kollektive Ansichten über die Wirkungsweisen bestimmter Drogen zu geben (was möglicher Weise an ihrer biochemisch rekonstruierbaren Wirkung liegen mag, ebenso denkbar sind Placeboeffekte), hierzu gesellen sich standardisierte Ansichten über das Verhalten sowie das gesellschaftliche Umfeld von Konsumten bestimmter Drogen.

9gag
Abbildung 1: Stereotypen verschiedener Drogenräusche. Quelle: http://img-9gag-ftw.9cache.com/photo/avg2MPZ_700b.jpg.

Sonntag, 8. Februar 2015

Wahlkampf Piratenpartei Hamburg

Am 15.02.2015 steht in Hamburg die Bürgerschaftswahl an, entsprechend ist die Stadt schon ganz in Wahlplakate gekleidet. Besonders aufgefallen ist mir dabei ein Plakat der Piratenpartei:
Abbildung 1: Wahlplakat der Piratenpartei. Quelle: https://twitter.com/pauli_pirat/status/558770825323507714
Das Plakat reiht sich damit natürlich in die gesellschaftliche Debatte um die Legalisierung von Cannabis ein, die in den letzten Monaten wieder verstärkt aufkam; getrieben wurde sie dabei insbesondere von der Legalisierung von Marihuana in verschiedenen us-amerikanischen Bundesstaaten sowie hierzulande etwa durch den Appell einer Reihe von Strafrechtsprofessoren. Interessant ist für mich das Plakat, da es provokant den Konsum von Marihuana darstellt. So habe ich bspw. noch Forderungen nach einer alternativen Drogenpolitik durch die Linkspartei im Kopf, deren Wahlplakate jedoch diese immer nur schriftlich abbildeten; evtl. ihrer standardisierten Gestaltung geschuldet.
Die Darstellung des Cannabiskonsums wird auf dem Plakat der Piratenpartei ästhetisch in Szene gesetzt, gerade der detailierte Rauch ist auffällig, der bei näherer Betrachtung insofern irritiert, als dass die Person auf dem Bild gerade einzuatmen scheint. Auch die goldene Bong verweist für mich ganz auf die Inszenierung des Konsums, die Wirkung der Droge ist auf dem Plakat also unter anderem durch den abgewandten Blick und die geschlossenen Augen nicht zu erkennen. Dieses passt auch zu dem Stil des abgebildeten Konsumenten, der auf das altbekannte Argument verweisen soll, dass der Konsum von Marihuana ein Phänonem ist, welches alle Gesellschaftsschichten betrifft. So hätten wohl bspw. die geröteten Augen nicht zu dem Bild des eleganten, kontrollierten Geschäftsmannes gepasst, wie er auf dem Bild mit typischen Accessoires wie Anzug und aalglatter Gelfrisur präsentiert wird.
Dennoch ist es interessant, dass durch die Piratenpartei nun auch konkrete Bilder in das Themenfeld der Drogenpolitik gelangen, die sich gerade auch durch ihre positive Konnotation von den bisherigen medialen Bildern abheben. Dieses geschieht geschieht durch die humoristische Ausrichtung des Plakates, die überzeichnete Darstellung des 'alltäglichen' Drogenkonsumenten wird durch das Wortspiel "Yes, we Cannabis" unterstützt, welches das bekannte Wahlmotto Obamas parodiert.

Montag, 26. Januar 2015

"Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel"

Crystal Meth scheint momentan die Droge der Stunde zu sein, so überrascht es wenig, dass sie zum Thema (und vielleicht zum eigentlich Hauptprotagonisten?) des Kieler Tatorts vom letzten Sonntag wurde ("Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel", R.: Christian Schwochow, D 2014). Gleich der Beginn des Filmes fällt in seiner besonderen Ästhetik auf, so wechseln Bild- und Tonebene (zumindest die diegtischen Töne) in der einleitenden Sequenz zwischen Aufnahmen einer leeren Waldstraße und den Einblendungen der Namen der Beteiligten. Auffällig ist, dass die Wechsel sehr schnell geschehen, so sind die Namenseinblendungen mitunter nicht einmal eine Sekunde im Bild, die Bilder beginnen regelrecht zu flackern.
Abbildung 1: Eingangssequenz. Quelle: "Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel", R.: Christian Schwochow, D 2014. Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Der Tatort eröffnet also direkt mit leichten Irritationen des Zuschauers. Er wird schlaglichartigen Eindrücken ausgesetzt, die auch inhaltlich halbwegs verwundern: So sieht man einen bewusstlosen Körper mit tiefschwarzen Augen, der stark den Eindruck einer Leiche macht, anschließend blinkt jedoch eine Axt (die mutmaßliche Tatwaffe) sowie das Zuschlagen einer nicht erkenntlichen Figur auf; etwas scheint somit in der Chronologie verruscht zu sein. Hier macht sich also eine eigenwillige Filmsprache bemerkbar, die zwischen melancholisch leeren Aufnahmen und aufzuckenden Erscheinungen alterniert. Auffällig ist darüberhinaus die Farbgestaltung, die Bilder wirken künstlich entsättigt, Grautöne dominieren. Der Zuschauer wird dann direkt informiert, dass das Opfer Crystal Meth im Blut hatte, es folgen Aufnahmen von Rita Holbeck (gespielt von Elisa Schlott), der Ex-Freundin des Opfers, die beim Anblick des Fahnungsbildes von Flashbacks der gemeinsamen Zeit heimgesucht wird:
Abbildung 2: Flashbacks der Ex-Freundin. Quelle: "Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel", R.: Christian Schwochow, D 2014. Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Die Flashbacks zeigen Rita im aufgelösten Zustand, gezeichnet von Entzugserscheinungen schreit sie ihren Exfreund Mike Nickel (Joel Basman) an und verlangt nach Drogennachschub. Dieser bezeichnet sie als Junkie; auffällig ist dabei die Maske der Figur, die die medial oft verbreiteten Hautabszesse infolge von Crystal Meth Konsum zeigt, er selbst scheint also ebenso abhängig zu sein. Bis hierin bewegt sich der Tatort also in traditionellem Fahrwasser, der Zuschauer hat den etwas irritierenden Vorspann hinter sich gelassen und wird nun mit dem 'typischen' Drogensüchtigen konfrontiert, in Grautönen offenbaren sich deformierte Körper und hysterische Suchtaffekte. Crystal Meth gebiert sich medial als Pest, die, wie der Regisseur Christian Schwochow im Interview ausführt, wie eine ebensolche über das Land gekommen sei, was er nun darstellen wolle. (vgl. Anonym: "Gespräch mit Christian Schwochow", URL 26.01.2015) Diese Darstellung ist pädagogisch sicher tadellos, vermag aber kaum die Faszination dieser Substanz ausdrücken, insbesondere die Frage, wie es in den letzten Jahren zu der epidemieartigen Verbreitung einer Drogen gekommen ist, die bereits im zweiten Weltkrieg eingesetzt wurde (bspw. Wikipedia liefert hier einen kurzen hist. Überblick: URL).
Um sich dieser Frage zu näheren, verlässt der Tatort im Folgenden diese Art der Darstellung und begibt sich in heikleres Gebiet, da auch positive Seiten des Rausches zum Ausdruck gebracht werden. Christian Buß, u.a. Tatort-Rezensent von Spiegel Online, spricht etwa von "entfesselten Rauschbildern" und führt aus: "Die Schönheit einer amtlichen Crystal-Meth-Sause - dieser "Tatort" zelebriert sie im wärmsten Licht und im anregendsten Rhythmus." (Buß, Christian: ""Tatort" über Crystal Meth: Vögeln bis die Sonne aufgeht. Und wieder unter", URL 26.01.2015). Oliver Jungen spricht auf faz.de von einem "ästhetischen Trip" und einer "aufregende[n] Feier des Lebens" (Jungen, Oliver: "Der neue „Tatort“ aus Kiel. Leben und Sterben im Rausch", URL 26.01.2015). Doch wie werden diese Rauschbilder inszeniert?
Zunächst einmal ist die Rahmung auffällig, wie auch Schwochow ausführt: "So kam die Visualität zustande: auf der einen Seite das Bunte, Überdrehte, und als Kontrast das Kalte, Düstere, das mit einer brutalen Klarheit die Schattenseiten porträtiert." (vgl. Anonym: "Gespräch mit Christian Schwochow", URL 26.01.2015).  Etwas weiter gefasst kann die Schattenseite als alles außerhalb der Rauschszenen aufgefasst werden, als die Tristesse und Graue des Alltags, die sich gerade in den Momenten des Entzugs in klirrender Schärfe zeigt. Dieser Kontrast wird besonders deutlich in der ersten und längsten Rauschszene, die von Rita in Form eines zeitlich stark gerafften Rückblicks erzählt wird. Während dieser Erzählung befindet sie sich im Verhörraum des Polizeiraums:
Abbildung 3: Erste Rauschszene. Quelle: "Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel", R.: Christian Schwochow, D 2014. Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Der Verhörraum destilliert gewissermaßen die Eigenschaften der 'nüchternen' Welt: er ist beengt, leblos steril gehalten, die Farben des Raumes sind kalt. Inmitten dieser Tristesse brechen dann die Rauschbilder hervor, die direkt durch ihre warmen, leuchtenden Farben auffallen. Die folgenden Rauschbilder zeigen dann stereotype Inszenierungsstrategien des Rausches. So sind die Farbfilter auffällig, die das Bild mal in golden leuchtendes, mal in warmes lilanes Licht tauchen. Allgemein zeigen sich die Farben nur in extremen Formen. In den Tagszenen leuchtet die Sonne grell durch das Fenster, es kommt zu Lichtreflexen auf der Linse (passender Weise tragen die Figuren auch in Innenräumen Sonnenbrillen). In den Clubszenen tritt starkes Gegenlicht auf, häufig sind die Figuren nur schemenhaft zu erkennen. Hinzu kommt Stroboskoplicht, zwischendurch wird das Bild ganz in weiß getaucht.
Diese Extremformen des Lichtes verweisen damit immer auch auf eine Ästhetisierung von Störungen. Auffällig gerade in den ganz in weiß getauchten Bildern. Es kommt zu einer Reizüberflutung, der Zuschauer wird überwältigt von der hell leuchtenden Mattscheibe und soll so über die performative Wirkungsdimension der Rausch nachempfinden. All diese Lichtgestaltungen stehen im Kontrast zum kalten, sterilen Neonlicht des Verhörraums. Begleitet werden die Bilder von der Erzählung Ritas, die auch inhaltlich auf die besondere Qualität der Lichtempfindung während des Rausches hinweist: "Die ersten Sekunden [des Crystal Meth Rausches], das ist wie, als wenn in dir drin alles leuchtet. Es wird ganz warm, dein Herz, das schlägt schnell." Diese Erzählungen Ritas helfen zugleich, die Perspektive der Bilder zu bestimmen. Nicht zuletzt die vielen Großaufnahmen verweisen darauf, dass der Point of View hier in die Perspektive der Berauschten tritt, es sich also um keine naturalistischen Aufnahmen handelt, sondern die filmischen Lichtfilter vielmehr die subjektive Verzerrung durch die Euphorie des Rausches ausdrücken. Hierdurch kann den Bildern eine gewisse Brisanz zugestanden werden, da die moralisch distanzierte Sichtweise hin zur subjektiven geöffnet wird. Gerade die schnellen Schnitte erzeugen auch eine Art visuellen Rausch und eröffnen damit die Möglichkeit, die Faszination des Rausches substitutiv zumindest in Teilen nachzuempfinden.
Abgesehen davon wird zur Umsetzung des Rausches auf viele etablierte Techniken zurückgegriffen, so kommt es etwa zu kurzen Detailaufnahmen der Substanz, die durch die starke Vergrößerung ästhetisiert wird. Hinzu kommt der Einsatz von wackeligen Handkameraaufnahmen, die eine große Nähe vermitteln. Und schließlich wird zur Darstellung der tanzenden Masse auf eine Totale zurückgegriffen, die zusammen mit Musik- und Lichtgestaltung die Körper als einheitliche, sich rythmisch bewegende Masse erscheinen lässt.
Diese lange Sequenz stellt somit einen offensichtlichen Kontrast zu der stark negativen "Junkieinszenierung" der vorherigen Szenen da, durch die beschriebene aufwendige audiovisuelle Gestaltung kann ihr fast eine Verherrlichung des Rausches unterstellt werden. Die Erzählung Ritas kippt jedoch, auf die anfängliche Euphorie folgt schon bald suchtbedingte Verzweiflung:
Abbildung 4: Absturz. Quelle: "Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel", R.: Christian Schwochow, D 2014. Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Abb. 4 gibt ausschnitthaft die Visualisierungen des Triumphs der Sucht und des damit verbundenen Absturzes wieder. Angefangen mit der Totalisierung des Rausches: Eine Injektionsszene verweist auf die Suche nach der möglich stärksten Wirkung der Substanz. Injektionsszenen sind fast in jedem Drogenfilm zu finden, sie bergen entsprechend eine Reihe von Deutungen, am offensichtlichsten ist sicherlich der schockierende Effekt. Desweiteren stellen sie, wie auch hier, oftmals den endgültigen Absturz des regelmäßigen Drogenkonsumenten dar; die Substanz dringt jetzt mit Hilfe eines Fremdkörpers direkt in die Haut des Betroffenen ein, sie vermischt sich mit der Blutbahn und hinterlässt körperliche Spuren, innere und äußere körperliche Unversehrtheit gehen zugleich verloren. Die folgende Großaufnahme wirkt durch die extreme Mimik entsprechend auch nicht mehr identifikationsstiftend, wie die Großaufnahmen zuvor, sondern lädt eher zur Distanzierung ein. Es kommt dann zur völligen Unterwerfung und Demütigung durch die Droge, Rita bittet auf allen Vieren um Stoffnachschub. Neben dem Symbol der Unterwerfung verweist diese 'hundeartige' Position - sofern diese evtl. Überinterpretation hier erlaubt sei - auf die Bedeutung des Hundemotivs in der griechischen Antike, so deutet der Hundekopf in der damaligen Kunst auf die Erinnyen hin; der Verweis auf die Rachegötter würde somit auf die Sucht als 'Rache' und Heimsuchung infolge des Rausches anspielen. Entsprechend umfasst Mike Ritas Kopf wie den eines Hundes, ein Motiv, dass in der beschriebenen Bedeutung prominent in Max Frischs Homo Faber auftaucht. Abgesehen von dieser sicherlich etwas weitgehenden Deutung erleidet Rita noch Halluzinationen als Entzugserscheinung. Grundsätzlich fällt ihr entrückter Blick auf, zu dem Mike keinen Zugang mehr findet und der sich schließlich ganz von ihm abwendet, hin zum leeren Raum, der durch sein Nichts auf die Eindringlichkeit und Realität der Halluzination verweist.
Es kommt hier also zur Entzauberung der Droge, passend dazu wieder der Einsatz der entsättigten Farben. Der Ausflug in die subjektive Rauschwelt ist beendet, nur die Halluzination flackert als letztes Überbleibsel des Eintauchens in die Perspektive Ritas auf. Insgesamt wird also das sehr ambivalente Bild einer Crystal Meth Abhängigen gezeichnet, welches auch Annäherungen an das Faszinosum der Droge wagt. Diese Zeichnung einer stereotypen Drogenkarriere steht jedoch insofern etwas im leeren Raum, als dass wenig auf die eigentlichen Ursachen des Drogenkonsums eingegangen wird. Auf den ersten Blick scheint der Reiz der ersten Trips sowie die Verführung durch den neuen Freund bzw. das neue Umfeld nachvollziehbar, auf tieferliegende gesellschaftliche oder persönliche Gründe wird allerdings nicht eingegangen, was negativ natürlich auch in eine Mystifizierung der Droge münden kann, eben die Sicht auf sie als regelrechte Naturkatastrophe, wie die Betitelung als Pest zeigt. Andererseits ist natürlich gerade das Tatortformat nicht zuletzt in der verfügbaren Länge stark eingegrenzt. Diese 'erzwungene' Kürze zeigt sich deutlich an den anderen Drogensüchtigen, die im Film auftreten:
Abbildung 5: Panorama der Süchtigen. Quelle: "Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel", R.: Christian Schwochow, D 2014. Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Hierbei dominieren wieder distanzierte, grau gehaltene Bilder; lediglich in einer Szene wird noch einmal der Rausch in bunten Farben gezeigt, diese sind jedoch deutlich kühler und zurückhaltender gestaltet als zuvor. Insgesamt vermittelt die Szene durch ihre Verortung in einem engen Kellerraum sowie durch einen hektischen, unübersichtlichen Schnitt eher das Gefühl von Orientierungslosigkeit und Beklemmung, das Verhalten zeichnet sich entsprechend durch aggressive Tendenzen aus. Auch die anderen Figuren werden rein negativ gezeichnet, zu sehen sind wieder viele Hautabszesse, zugleich haben viele der Figuren ihre Fähigkeit zur Artikulation verloren sowie jeglichen Ansatz von intellektuellen Fähigkeiten. Die Figurenzeichnung bleibt hier also eindimensional, 'verblödete' Junkies und 'sprachunfähige' Bauern sollen ein Panorama der gesellschaftlichen Tiefenwirkung der Droge darstellen, gebieren sich aber durch den Verzicht auf Einfühlung und reflektierte Hinterfragung letztlich nur als Klischees. Im Kopf des Zuschauers bleiben wohl er die Farbexplosionen und Zusammenbrüche Ritas, an der sich der Hauptprotagonist Crystal Meth voll und ganz entfaltet.

Sonntag, 25. Januar 2015

"Entourage" (HBO, USA 2004-2011) (II) / "True Detective" (HBO, USA 2014- ) (II)

Im Nachgang zum letzten Eintrag zur Serie Entourage (HBO, USA 2004-2011) stieß ich auf interessante Überlegungen zum Motiv des Rituales, die in gewisser Weise eine Verbindung zur ebenfalls behandelten Serie True Detective (HBO, USA 2014- ) herstellen. So führt Ulrike Brunotte in ihren Überlegungen zu den Veränderungen der Ritualtheorie Anfang des 20. Jahrunderts aus:

Die äußere Natur wird als Bezugsrahmen von Ritualen mehr oder weniger verlassen, und der soziale Raum als ein performativ gebildeter mitsamt der in ihm agierenden und zivilisierten kollektiven inneren Natur betreten. Rituale werden im emphatischen Sinne als Medien von Massenerregungen, festlicher Selbstwahrnehmung und Vergemeinschaftung verhandelt. In ihnen löst sich nach Durkheim die Trennung der arbeitsteilig atomisierten Individuen in der Weise auf, wie ein zwischen Subjekt und Objekt changierender medialer Raum geschaffen wird, ein kollektiver Erregungs- und Affektraum, der zugleich erhöhte Selbstwahrnehmung ermögliche und die ‚Geburtsstätte‘ der ‚religiösen Idee‘ – des ‚Göttlichen‘ sei.
(Brunotte 2011: 87)


Diese wissenschaftstheoretischen Überlegungen, die auf Vorgänge wie die Industrialisierung und die Bürokratisierung der Gesellschaft abzielen, können in meinen Augen auch produktiv in Bezug auf Entourage und True Detective angewandt werden - was auf den ersten Blick vielleicht etwas weit her geholt wirkt, aber nicht zuletzt eröffent ein Blog eben für solche abschweifenderen Gedanken Raum. Ganz oberflächlich verweisen Begriffe wie festliche Selbstwahrnehmung und Vergemeinschaftung auf die bereits beschriebene topographische Spannung der analysierten Entourage Folge zwischen naturhaften Nationalpark und kulturisierter Lebenswelt. Filmisch zeigen sich diese Aspekte etwa in dem Motiv der wandernden Gefährten oder auch in Vinces innerer Suche nach der richtigen Entscheidung, die er durch die drogenbedingt gesteigerte Selbstwahrnehmung besser zu finden hofft:
Abbildung 1: Filmische Motive. Quelle: "Entourage" (HBO, USA 2004-2011). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Wenngleich sich der Aspekt der Masse inhaltlich in diesem Beispiel eher weniger ausmachen lässt, zeigen sich in meinen Augen Referenzen auf ein kollektives Unterbewusstsein: Es geht um Fragen des "guten Lebens", d.h. um existentielle Entscheidungen, in die das Individuum durch die Wandel innerhalb der modernen Gesellschaft getrieben wird. Und hier kommt dann doch wieder der Aspekt der Masse hinzu, insofern als bsph. Vince und Ari als Identifikationsflächen dienen können, die durch ihren Rausch überaffektiert universelle Probleme verkörpern: etwa das Dilemma zwischen wirtschaftlichen Erfolg und persönlichem Idealismus (wenn Vince zwischen 'stumpfer' Blockbuster Hauptrolle und 'schlecht' bezahlter anspruchsvoller Nebenrolle schwankt) oder Hedonismus und Verantwortung (wenn Ari sich (wenngleich etwas ungewollt) seinen Sinnesrausch hingeben will und gleichzeitig diesen Kontrollverlust vor der Familie, als deren 'Oberhaupt' er sich begreift, verbergen muss).
Durch den Rausch werden die Figuren zu Verkörperungen dieser oft unterdrückten Spannungen und können sie zugleich in ihrer Entgrenzung überzeichnet ausleben. Die Folge tritt hierdurch, wie auch schon topographisch, aus den eigentlich "Sitcom-Trott", wodurch sie wie das Ritual eine gesonderte Stellung jenseits des Alltags einnimmt und zum gemeinsamen Affektraum werden kann. Diese Gedanken klingen durchaus etwas hochtrabend, könnten aber ein Ansatz sein, um sich den Rauschszenen von Serien zu näheren. In diesen kommt es oftmals zu Grenzerfahrungen, insbesondere Regulierungen des Verhaltens werden gebrochen; der Zuschauer kann dann in diesen Szenen Tabubrüche identifikatorisch miterleben, ohne deren Konsquenzen zu erleiden - also klassische eskapistische Ansätze. Berechtigter Kritikpunkt wäre aber unter anderem die Frage, warum diese Momente auf Rauschszenen begrenzt sein müssen; ebenso kann die oft distanzierte Darstellung von Rauschzuständen wie in Entourage als Einwand erhoben werden.
Diese Fragestellung wird sicherlich in kommenden Beiträgen zu weiteren Rauschszenen in Serien noch relevant werden, an dieser Stelle würde ich nun gerne noch auf True Detective eingehen, um einen Aspekt des Rituals zu betrachten: "die ‚Geburtsstätte‘ der ‚religiösen Idee‘". Mit True Detective habe ich mich bereits in einem früheren Beitrag beschäftigt, dort war viel von der stoischen, abgestumpften Persönlichkeit Rusts, der Betäubung durch und dem Versinken im Alkohol und letztlich dem Weg in den Abgrund des Charakters die Rede.
So dominant diese Charaktereigenschaften auch auftreten, gibt es dennoch figürliche Aspekte jenseits von ihnen, auf die ich nicht einging. Gemeint sind zwei besondere Qualitäten Rusts: Auf der einen Seite fällt er in den Verhören von Verdächtigen immer wieder durch sein besonderes Einfühlungsvermögen auf, auf der anderen Seite erleidet er in der Serie mehrfach Visionen. Diese Eigenschaften hängen in meinen Augen eng zusammen, sie sind Ausdruck der haltlosen Persönlichkeit Rusts, die durch ihre 'Abgründigkeit' sich ganz den Fällen hingeben kann und so etwa auch die 'dämonischen' Gedankengänge moralisch fragwürdig Agierender nachfühlend durchschreiten kann. Diese Einfühlung findet ihren Höhepunkt in den Momenten der Visionen, deren nicht zuletzt ontologischer Status unklar bleibt:
Abbildung 2: Visionen Rusts. Quelle: "True Detective" (HBO, USA 2014- ). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Abb. 2 zeigt zwei Szenen, in denen Rust Visionen erfährt. In der ersten Szene konsumiert er starke Medikamente, befindet sich also in einem Drogenrausch; in der zweiten Szene ist er mit seinem Partner unterwegs und erblickt die Vision untervermittelt als er aus dem Auto steigt. Rust selbst erklärt die Visionen als Nervenschäden in Folge des Drogenskonsums während seiner Zeit als Undercoverpolizist. Gerade die zweite Szene zeigt die Schwierigkeit der Verortung dieser Visionen, durch die Over-the-Shoulder Perspektive entsteht der Eindruck, als würde der Zuschauer in die subjektive Perspektive Rusts eintreten. Diese subjektive Perspektive wird durch das irreale Schauspiel am Himmel unterstützt, welches so als Halluzination erklärt werden kann und dadurch nicht in Konflikt bspw. mit den Naturgesetzen tritt. Es zeigt sich die grundlegende Spannung, dass der Zuschauer entweder an der geistigen Verfasstheit Rusts oder der realistischen Ausgestaltung der diegetischen Welt zweifeln muss.
Hier durch kommt es in gewisser Weise zu einem zwischen Subjekt und Objekt changierenden, medialen Raum, wie er im Eingangszitat beschrieben wird. Und weiter gedacht wird auch die Individuation der Welt aufgelöst, da Rust in diesem Moment eins mit der Welt wird, so gibt ihm etwa die Natur Hinweise in seinem Fall: das im letzten Screenshot von den Vögeln verkörperte Symbol ist eben jenes, welches die Ermittler zu Beginn der Serie auf dem Rücken des Mordopfers finden.
Auch diese Szenen stellen damit wie die Sequenzen aus Entourage einen gesonderten Bereich innerhalb der Serie da, Rust verlässt momenthaft die alltägliche individuelle Weltwahrnehmung, und der Point of View folgt ihn im Form des Perspektivwechsels. Das erscheinende Zeichen markiert den Raum, den Rust Betritt: Er taucht ein in die Bewusstseinswelt des Täters, welcher durch den Ritualmord zu Beginn der Serie dieses Zeichen korporalisierte. Dieses Zeichen wiederum entstammt in meinen Augen der okkulten, radikalisierten Deutung von spirituellen Tendenzen, die durchaus in einer Art kollektiven Unterbewusstsein florieren. So finden sich in True Detecitve immer wieder Landschaftsaufnahmen sowie Aussagen über die religiöse Prägung Louisianas; die Sumpflandschaft sowie das feuchte Klima verweisen dabei auf Aspekte wie Fruchtbarkeit und Wandel, die religiöse Prägung auf affektiv aufgeladene Religionspraktiken, in denen bspw. der Zustand der religiösen Ekstase eine besondere Stellung einnimmt. Die Visionen können so als die subjektive Variationsform des Erlebens dieser ekstatischen Tendenzen durch Rust gedeutet werden, er gibt sich der Sphäre zwischen dem kollektiven Pol sowie dem individuellen Pol des Täters hin und wird so zum Medium, dass zwischen dieser Welt und der alltäglichen vermitteln kann. Möglich wird ihm dies durch seine 'Abgründigkeit', die insbesondere das bedingungslose Nachfühlen ermöglicht.
Zugleich können diese Visionen, da sie im Massenmedium des Fernsehes auftreten und natürlich auch an den Zuschauer gerichtet sind, auch als Konkretisierung der beschriebene Tendenzen wie Fruchtbarkeit und Religiösität des kollektiven Unterbewusstseins dieser Region beschrieben werden, wird das filmische Material hier als auch wie bei Entourage zur entgrenzten Identifikationsfläche für den Zuschauer. Um wieder auf das Zitat zurückzugreifen: die Szenen betreten den sozialen Raum, der "als ein performativ gebildeter mitsamt der in ihm agierenden und zivilisierten kollektiven inneren Natur" erscheint. Gebildet wird dieser Raum durch die Figuren, welche durch den Rausch die Individualisierung hin zu kollektiven (oftmals unterbewussten) 'Räumen' verlassen und so zu Medien werden können, wobei das audiovisuelle Medium wiederum diese besondere Wahrnehmung durch die beschriebenen verschiedenen Inszenierungsstrategien vermittelt.


Literaturhinweise:
Brunotte, Ulrike: „Das Ritual als Medium ‚göttlicher Gemeinschaft‘. Die Entdeckung des Sozialen bei Robertson Smith und Jane Ellen Harrison.“ In: Fischer-Lichte, Erika; Horn, Christian; Umathum, Sandra; Warstat, Matthias: Wahrnehmung und Medialität. Theatralität Band 3, hrsg. v. Erika Fischer-Lichte. Francke Verlag: Tübingen/Basel 2001, S.85-102.