Crystal Meth scheint momentan die Droge der Stunde zu sein, so überrascht es wenig, dass sie zum Thema (und vielleicht zum eigentlich Hauptprotagonisten?) des Kieler Tatorts vom letzten Sonntag wurde ("Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel", R.: Christian Schwochow, D 2014). Gleich der Beginn des Filmes fällt in seiner besonderen Ästhetik auf, so wechseln Bild- und Tonebene (zumindest die diegtischen Töne) in der einleitenden Sequenz zwischen Aufnahmen einer leeren Waldstraße und den Einblendungen der Namen der Beteiligten. Auffällig ist, dass die Wechsel sehr schnell geschehen, so sind die Namenseinblendungen mitunter nicht einmal eine Sekunde im Bild, die Bilder beginnen regelrecht zu flackern.
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Abbildung 1: Eingangssequenz. Quelle: "Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel", R.: Christian Schwochow, D 2014. Zusammenstellung von Henrik Wehmeier. |
Der Tatort eröffnet also direkt mit leichten Irritationen des Zuschauers. Er wird schlaglichartigen Eindrücken ausgesetzt, die auch inhaltlich halbwegs verwundern: So sieht man einen bewusstlosen Körper mit tiefschwarzen Augen, der stark den Eindruck einer Leiche macht, anschließend blinkt jedoch eine Axt (die mutmaßliche Tatwaffe) sowie das Zuschlagen einer nicht erkenntlichen Figur auf; etwas scheint somit in der Chronologie verruscht zu sein. Hier macht sich also eine eigenwillige Filmsprache bemerkbar, die zwischen melancholisch leeren Aufnahmen und aufzuckenden Erscheinungen alterniert. Auffällig ist darüberhinaus die Farbgestaltung, die Bilder wirken künstlich entsättigt, Grautöne dominieren. Der Zuschauer wird dann direkt informiert, dass das Opfer Crystal Meth im Blut hatte, es folgen Aufnahmen von Rita Holbeck (gespielt von Elisa Schlott), der Ex-Freundin des Opfers, die beim Anblick des Fahnungsbildes von Flashbacks der gemeinsamen Zeit heimgesucht wird:
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Abbildung 2: Flashbacks der Ex-Freundin. Quelle: "Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel", R.: Christian Schwochow, D 2014. Zusammenstellung von Henrik Wehmeier. | |
Die Flashbacks zeigen Rita im aufgelösten Zustand, gezeichnet von Entzugserscheinungen schreit sie ihren Exfreund Mike Nickel (Joel Basman) an und verlangt nach Drogennachschub. Dieser bezeichnet sie als Junkie; auffällig ist dabei die Maske der Figur, die die medial oft verbreiteten Hautabszesse infolge von Crystal Meth Konsum zeigt, er selbst scheint also ebenso abhängig zu sein. Bis hierin bewegt sich der Tatort also in traditionellem Fahrwasser, der Zuschauer hat den etwas irritierenden Vorspann hinter sich gelassen und wird nun mit dem 'typischen' Drogensüchtigen konfrontiert, in Grautönen offenbaren sich deformierte Körper und hysterische Suchtaffekte. Crystal Meth gebiert sich medial als Pest, die, wie der Regisseur Christian Schwochow im Interview ausführt, wie eine ebensolche über das Land gekommen sei, was er nun darstellen wolle. (vgl. Anonym: "Gespräch mit Christian Schwochow",
URL 26.01.2015) Diese Darstellung ist pädagogisch sicher tadellos, vermag aber kaum die Faszination dieser Substanz ausdrücken, insbesondere die Frage, wie es in den letzten Jahren zu der epidemieartigen Verbreitung einer Drogen gekommen ist, die bereits im zweiten Weltkrieg eingesetzt wurde (bspw. Wikipedia liefert hier einen kurzen hist. Überblick:
URL).
Um sich dieser Frage zu näheren, verlässt der Tatort im Folgenden diese Art der Darstellung und begibt sich in heikleres Gebiet, da auch positive Seiten des Rausches zum Ausdruck gebracht werden. Christian Buß, u.a. Tatort-Rezensent von Spiegel Online, spricht etwa von "entfesselten Rauschbildern" und führt aus: "Die Schönheit einer amtlichen Crystal-Meth-Sause - dieser "Tatort" zelebriert sie im wärmsten Licht und im anregendsten Rhythmus." (Buß, Christian: ""Tatort" über Crystal Meth: Vögeln bis die Sonne aufgeht. Und wieder unter",
URL 26.01.2015). Oliver Jungen spricht auf faz.de von einem "ästhetischen Trip" und einer "aufregende[n] Feier des Lebens" (Jungen, Oliver: "Der neue „Tatort“ aus Kiel. Leben und Sterben im Rausch",
URL 26.01.2015). Doch wie werden diese Rauschbilder inszeniert?
Zunächst einmal ist die Rahmung auffällig, wie auch Schwochow ausführt: "So kam die Visualität zustande: auf der einen Seite das Bunte, Überdrehte, und als Kontrast das Kalte, Düstere, das mit einer brutalen Klarheit die Schattenseiten porträtiert." (vgl. Anonym: "Gespräch mit Christian Schwochow",
URL 26.01.2015). Etwas weiter gefasst kann die Schattenseite als alles außerhalb der Rauschszenen aufgefasst werden, als die Tristesse und Graue des Alltags, die sich gerade in den Momenten des Entzugs in klirrender Schärfe zeigt. Dieser Kontrast wird besonders deutlich in der ersten und längsten Rauschszene, die von Rita in Form eines zeitlich stark gerafften Rückblicks erzählt wird. Während dieser Erzählung befindet sie sich im Verhörraum des Polizeiraums:
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Abbildung 3: Erste Rauschszene. Quelle: "Tatort: Borowski und
der Himmel über Kiel", R.: Christian Schwochow, D 2014. Zusammenstellung
von Henrik Wehmeier. |
Der Verhörraum destilliert gewissermaßen die Eigenschaften der 'nüchternen' Welt: er ist beengt, leblos steril gehalten, die Farben des Raumes sind kalt. Inmitten dieser Tristesse brechen dann die Rauschbilder hervor, die direkt durch ihre warmen, leuchtenden Farben auffallen. Die folgenden Rauschbilder zeigen dann stereotype Inszenierungsstrategien des Rausches. So sind die Farbfilter auffällig, die das Bild mal in golden leuchtendes, mal in warmes lilanes Licht tauchen. Allgemein zeigen sich die Farben nur in extremen Formen. In den Tagszenen leuchtet die Sonne grell durch das Fenster, es kommt zu Lichtreflexen auf der Linse (passender Weise tragen die Figuren auch in Innenräumen Sonnenbrillen). In den Clubszenen tritt starkes Gegenlicht auf, häufig sind die Figuren nur schemenhaft zu erkennen. Hinzu kommt Stroboskoplicht, zwischendurch wird das Bild ganz in weiß getaucht.
Diese Extremformen des Lichtes verweisen damit immer auch auf eine Ästhetisierung von Störungen. Auffällig gerade in den ganz in weiß getauchten Bildern. Es kommt zu einer Reizüberflutung, der Zuschauer wird überwältigt von der hell leuchtenden Mattscheibe und soll so über die performative Wirkungsdimension der Rausch nachempfinden. All diese Lichtgestaltungen stehen im Kontrast zum kalten, sterilen Neonlicht des Verhörraums. Begleitet werden die Bilder von der Erzählung Ritas, die auch inhaltlich auf die besondere Qualität der Lichtempfindung während des Rausches hinweist: "Die ersten Sekunden [des Crystal Meth Rausches], das ist wie, als wenn in dir drin alles leuchtet. Es wird ganz warm, dein Herz, das schlägt schnell." Diese Erzählungen Ritas helfen zugleich, die Perspektive der Bilder zu bestimmen. Nicht zuletzt die vielen Großaufnahmen verweisen darauf, dass der Point of View hier in die Perspektive der Berauschten tritt, es sich also um keine naturalistischen Aufnahmen handelt, sondern die filmischen Lichtfilter vielmehr die subjektive Verzerrung durch die Euphorie des Rausches ausdrücken. Hierdurch kann den Bildern eine gewisse Brisanz zugestanden werden, da die moralisch distanzierte Sichtweise hin zur subjektiven geöffnet wird. Gerade die schnellen Schnitte erzeugen auch eine Art visuellen Rausch und eröffnen damit die Möglichkeit, die Faszination des Rausches substitutiv zumindest in Teilen nachzuempfinden.
Abgesehen davon wird zur Umsetzung des Rausches auf viele etablierte Techniken zurückgegriffen, so kommt es etwa zu kurzen Detailaufnahmen der Substanz, die durch die starke Vergrößerung ästhetisiert wird. Hinzu kommt der Einsatz von wackeligen Handkameraaufnahmen, die eine große Nähe vermitteln. Und schließlich wird zur Darstellung der tanzenden Masse auf eine Totale zurückgegriffen, die zusammen mit Musik- und Lichtgestaltung die Körper als einheitliche, sich rythmisch bewegende Masse erscheinen lässt.
Diese lange Sequenz stellt somit einen offensichtlichen Kontrast zu der stark negativen "Junkieinszenierung" der vorherigen Szenen da, durch die beschriebene aufwendige audiovisuelle Gestaltung kann ihr fast eine Verherrlichung des Rausches unterstellt werden. Die Erzählung Ritas kippt jedoch, auf die anfängliche Euphorie folgt schon bald suchtbedingte Verzweiflung:
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Abbildung 4: Absturz. Quelle: "Tatort: Borowski und
der Himmel über Kiel", R.: Christian Schwochow, D 2014. Zusammenstellung
von Henrik Wehmeier. |
Abb. 4 gibt ausschnitthaft die Visualisierungen des Triumphs der Sucht und des damit verbundenen Absturzes wieder. Angefangen mit der Totalisierung des Rausches: Eine Injektionsszene verweist auf die Suche nach der möglich stärksten Wirkung der Substanz. Injektionsszenen sind fast in jedem Drogenfilm zu finden, sie bergen entsprechend eine Reihe von Deutungen, am offensichtlichsten ist sicherlich der schockierende Effekt. Desweiteren stellen sie, wie auch hier, oftmals den endgültigen Absturz des regelmäßigen Drogenkonsumenten dar; die Substanz dringt jetzt mit Hilfe eines Fremdkörpers direkt in die Haut des Betroffenen ein, sie vermischt sich mit der Blutbahn und hinterlässt körperliche Spuren, innere und äußere körperliche Unversehrtheit gehen zugleich verloren. Die folgende Großaufnahme wirkt durch die extreme Mimik entsprechend auch nicht mehr identifikationsstiftend, wie die Großaufnahmen zuvor, sondern lädt eher zur Distanzierung ein. Es kommt dann zur völligen Unterwerfung und Demütigung durch die Droge, Rita bittet auf allen Vieren um Stoffnachschub. Neben dem Symbol der Unterwerfung verweist diese 'hundeartige' Position - sofern diese evtl. Überinterpretation hier erlaubt sei - auf die Bedeutung des Hundemotivs in der griechischen Antike, so deutet der Hundekopf in der damaligen Kunst auf die Erinnyen hin; der Verweis auf die Rachegötter würde somit auf die Sucht als 'Rache' und Heimsuchung infolge des Rausches anspielen. Entsprechend umfasst Mike Ritas Kopf wie den eines Hundes, ein Motiv, dass in der beschriebenen Bedeutung prominent in Max Frischs
Homo Faber auftaucht. Abgesehen von dieser sicherlich etwas weitgehenden Deutung erleidet Rita noch Halluzinationen als Entzugserscheinung. Grundsätzlich fällt ihr entrückter Blick auf, zu dem Mike keinen Zugang mehr findet und der sich schließlich ganz von ihm abwendet, hin zum leeren Raum, der durch sein Nichts auf die Eindringlichkeit und Realität der Halluzination verweist.
Es kommt hier also zur Entzauberung der Droge, passend dazu wieder der Einsatz der entsättigten Farben. Der Ausflug in die subjektive Rauschwelt ist beendet, nur die Halluzination flackert als letztes Überbleibsel des Eintauchens in die Perspektive Ritas auf. Insgesamt wird also das sehr ambivalente Bild einer Crystal Meth Abhängigen gezeichnet, welches auch Annäherungen an das Faszinosum der Droge wagt. Diese Zeichnung einer stereotypen Drogenkarriere steht jedoch insofern etwas im leeren Raum, als dass wenig auf die eigentlichen Ursachen des Drogenkonsums eingegangen wird. Auf den ersten Blick scheint der Reiz der ersten Trips sowie die Verführung durch den neuen Freund bzw. das neue Umfeld nachvollziehbar, auf tieferliegende gesellschaftliche oder persönliche Gründe wird allerdings nicht eingegangen, was negativ natürlich auch in eine Mystifizierung der Droge münden kann, eben die Sicht auf sie als regelrechte Naturkatastrophe, wie die Betitelung als Pest zeigt. Andererseits ist natürlich gerade das Tatortformat nicht zuletzt in der verfügbaren Länge stark eingegrenzt. Diese 'erzwungene' Kürze zeigt sich deutlich an den anderen Drogensüchtigen, die im Film auftreten:
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Abbildung 5: Panorama der Süchtigen. Quelle: "Tatort: Borowski und
der Himmel über Kiel", R.: Christian Schwochow, D 2014. Zusammenstellung
von Henrik Wehmeier. |
Hierbei dominieren wieder distanzierte, grau gehaltene Bilder; lediglich in einer Szene wird noch einmal der Rausch in bunten Farben gezeigt, diese sind jedoch deutlich kühler und zurückhaltender gestaltet als zuvor. Insgesamt vermittelt die Szene durch ihre Verortung in einem engen Kellerraum sowie durch einen hektischen, unübersichtlichen Schnitt eher das Gefühl von Orientierungslosigkeit und Beklemmung, das Verhalten zeichnet sich entsprechend durch aggressive Tendenzen aus. Auch die anderen Figuren werden rein negativ gezeichnet, zu sehen sind wieder viele Hautabszesse, zugleich haben viele der Figuren ihre Fähigkeit zur Artikulation verloren sowie jeglichen Ansatz von intellektuellen Fähigkeiten. Die Figurenzeichnung bleibt hier also eindimensional, 'verblödete' Junkies und 'sprachunfähige' Bauern sollen ein Panorama der gesellschaftlichen Tiefenwirkung der Droge darstellen, gebieren sich aber durch den Verzicht auf Einfühlung und reflektierte Hinterfragung letztlich nur als Klischees. Im Kopf des Zuschauers bleiben wohl er die Farbexplosionen und Zusammenbrüche Ritas, an der sich der Hauptprotagonist Crystal Meth voll und ganz entfaltet.
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