Mittwoch, 8. April 2015

"Hangover in High Heels"

Kehrtwende vom Experimentellen zum Populären: Handelte es sich bei dem Kurzfilm des letzten Beitrags um ein ästhetisch eher ungewohntes Werk, thematisiert dieser Beitrag in diesem Sinne das genaue Gegenteil. Die Rede ist von der SAT.1 Eigenproduktion Hangover in High Heels (Deutschland 2015, R.: Sven Bohse), die vor kurzem Fernsehpremiere feierte und nicht nur namentlich eng an die Hollywoodproduktion The Hangover (USA/DE 2009, R.: Todd Phillips) angelehnt ist. Getreu dem Namen überrascht auch die Eröffnungsszene des Filmes wenig, welche in The Hangover lediglich etwas später zu finden ist und dort wiederum Assoziationen an unter anderem Fear and Loathing in Las Vegas (USA 1998, R.: Terry Gilliam) wachruft.
Alle diese Szenen präsentieren das Aufwachen von Protagonisten, die am Abend zuvor einen ausschweifenden (Drogen)Rausch erlebt haben und in diesen ersten Momenten des Erwachens zwischen Orientierungslosigkeit und Klarheit schwanken. Oft liegen die Erinnerungen (noch) im undurchsichtigen Nebel der Ausschweifung der letzten Nacht, nur langsam beginnt ihr Verstand wieder einzusetzen und Prozesse der Verortung einzuleiten. Die Szenerie ist hierbei oftmals ein Hotel, welches als Transitort wohl nicht ganz zufällig gewählt ist. Die Protagonisten befinden sich oftmals auf einer Reise (typischer Weise nach Las Vegas), dank derer sie die alltäglichen Hemmungen erst fallen lassen und sich dem Rausch ganz hingeben können. Das Hotelzimmer hält hierbei einerseits als klar umgrenzter Ort die Ordnung aufrecht, gleichzeitig wird das Hotelzimmer im Verlauf des Abends selbst zum Ort der Verwüstung, wenn sich die Protagonisten auch einmal in Rockstarmanier ausleben wollen. Der Ort des Hotels ist also selbst einem Wandel unterworfen, wobei er durch seinen planmäßigen Aufbau und durch die Routine des Reinigungspersonal in der Regel immer wieder schnell in seinen Ausgangszustand zurückversetzt werden kann, die Spuren des Ausschweifens also zumindest räumlich restlos getilgt werden können. Das Hotel hat jedoch auch ganz konkrete Bedeutung für die Handlung: Durch ihr neutrales Aussehen können sich die Protagonisten in den Räumen zumindest in den ersten Momenten des Erwachens nicht verorten, sie finden sich an einen fremden Ort wieder, der erst durch ihre wiederkehrende Erinnerung geographisch bestimmt werden kann. Hangover in High Heels variiert nun diese Szenerie leicht, aus dem Hotelzimmer wird die Dachterrasse eines Hotels:
Abbildung 1: Eingangssequenz 'Hangover in High Heels' (Deutschland 2015, R.: Sven Bohse). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Die Szene beginnt mit einer Kamerafahrt unter Wasser, die Kamera schwebt hierbei durch einen mit Sektflaschen und Gliedmaßen getränkten Pool, wobei ästhetisch interessante Aufnahmen entstehen. In gewisser Weise ahmt der Film hier den Prozess des Aufwachens des (ehemals) Berauschten nach, da der Zuschauer nur zusammenhanglose Indizien wie einzelne Körperteile erblicken kann, die er in ihrer Bedeutung noch nicht recht zuordnen kann. Durch das Auftauchen der Kamera blickt der Zuschauer anschließend in das Gesicht einer auffallend maskierten Person; spätestens jetzt ist klar, dass es sich bei dem Innenleben des Pools um die Folgen einer ausschweifenden Partynacht handelt. Die Kamera wechselt dann in den subjektiven Blick eben dieser Person, zum Vorschein kommt ein Flöte spielender Mann in traditioneller Indiokleidung. Hier werden die Verweise zu The Hangover oder Fear and Loathing in Las Vegas deutlich, auch in diesen beiden Filmen erwacht der Zuschauer gewissermaßen mit den Protagonisten und wird genau wie sie mit einer ungewöhnlichen, beinah surrealistischen Umwelt konfrontiert, deren Ausprägungen für ihn in den Moment nicht rational erklärbar sind; hier sei nur bspw. der Tiger im Badezimmer in The Hangover erwähnt. Alle diese Filme referieren damit auf die Wirkung des Gedächtnisverlustes bestimmter Drogen wie bspw. des Alkohols, der Konsument kann sich nicht mehr an seinen Rausch erinnern und wird nun mit den Konsequenzen seiner ausschweifenden Handlungen konfrontriert.
Dass ein Rausch stattgefunden hat wird dabei oftmals durch die Abbildung von Katersymptomen expliziert, vornehmlich durch die Maske. So fällt in Hangover in High Heels das völlig entstellte Makeup auf, hinzu tritt die ungewöhnliche Kleidung wie die Maske und das Hochzeitskleid, wobei letzteres durch seinen ramponierten Zustand ins Auge sticht. Unterstützt wird das Ganze durch die Mimik, die Augen werden entsetzt aufgerissen, der Körper präsentiert sich unkoordiniert. Die Protagonisten hier finden jedoch sehr schnell in ihre Rolle zurück, so wird die jüngere Protagonist direkt durch die ältere harsch darauf angesprochen, was denn geschehen sei; sie wird dabei gesiezt, was in Anbetracht der mutmaßlich zusammen verbrachten Nacht irritiert. Die ältere Frau wird dann direkt davon in Kenntnis gesetzt, dass eine (scheinbar sehr wichtige) Akte verschwunden sei, beide finden also sehr schnell nach dem Aufwachen in ihre alltäglichen Rollen zurück, zugleich wird damit direkt der Plot des Films offenbart: die Rekonstruktion der Partynacht zwecks Wiederfinden eben jener Akte.
Dabei sei aber erwähnt, dass der Film sich aus dieser doch recht schlichten Handlungskonstruktion etwas befreien kann. In den nächsten zwanzig Minuten wird die Vorgeschichte dieser Nacht und damit auch der beiden Protagonisten zu sehen sein, wobei auch diese etwas einseitig wirkt: Die blutjunge, unerfahrene, latent linksorientierte Berufsanfängerin in Mauerblümchen Outfit und mit punkiger Schwester fängt bei einer elitären, stockkonservativen Anwaltskanzlei an, wobei ihre Vorgesetzte das harsche 'Alphaweibchen' ist, welche sie fortan durchgehend radikal kritisiert und brutal ausbeutet. Wie gesagt kann sich der Film aus diesen Stereotypen jedoch etwas befreien, da er u.a. andeutet, wie die ältere Protagonisten durch ihren täglichen Kampf mit herablassenden Vorurteilen im konservativen Juristenmilieu zu der Person geworden ist, die sie jetzt ist, d.h. durch die äußerliche Abhärtung immer stärker ihre inneren Ideale verloren hat. Hier kommt es also zu durchaus gesellschaftskritischen Ansätzen, wenngleich die Charakterzeichung doch immer von einer gewissen Oberflächlichkeit geprägt bleibt.
Aber zurück zu den Rauschszenen: Nach 20 Minuten erlebt der Zuschauer die Anfangsszene erneut, diesmal jedoch aus der Perspektive der älteren Protagonisten; zuvor ist der (mutmaßliche) Beginn der Partynacht zu sehen:
Abbildung 2:Wiederaufnahme der Eingangssequenz 'Hangover in High Heels' (Deutschland 2015, R.: Sven Bohse). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Die beiden Protagonistinnen besuchen eine Abendveranstaltung, wobei wieder die beschriebenen Konflikte aufbranden. Allerdings lässt sich die ältere Protagonist durch das Wiedertreffen mit einem alten Bekannten dazu hinreißen, Alkohol zu konsumieren. Anschließend wird der Bildschirm schwarz und wir sehen die erwähnte Wiederholung der Anfangsszene, wobei durch den Perspektivwechsel neue Informationen hinzutreten. So findet sich auch hier ein kurzer Blick in die subjektive Perspektive, wobei der Protagonistin auffällt, dass sie deutliche Wundmale am Handgelenk hat, die sie anschließend wieder schnell unter ihrem Ärmel versteckt; es kommen also neue Rätsel hinzu, die durch den Gedächtnisverlust ausgelöst wurden und aufgelöst werden wollen. Die Szene läuft anschließend jedoch länger als die Anfangsszene, der Manager des Hotels taucht auf. Er konfrontiert sie mit dem Umstand, dass sie keine Gäste in dem Hotel sind und den angerichteten Schaden beheben sollen, auch diese Protagonist findet jedoch sehr schnell in ihre Anwaltsrolle zurück und kann so den Angriff des Hotelmanagers parieren; sinnbildlich hierfür die Sonnenbrille, welche die gezeichneten Augen verbirgt und der Figur so ihre äußerliche Unangreifbarkeit wiedergibt.
Ich will nun an dieser Stelle nicht weiter auf die Handlung eingehen, da Rausch und Kater zunehmend nachlassen und nicht weiter relevant sind; ebenso brigt die Handlung noch die ein oder andere Überraschung, die ich nicht vorweg nehmen will. Stattdessen will ich noch kurz auf zwei Rauschszenen eingehen, die wenig über den Plot verraten. In der ersten Szene handelt es sich um eine Nachwirkung der Partynacht am nächsten Tag, konkret zeigt sich hier eine verspätet einsetzende Wirkung von MDMA. Beide Protagonisten sitzen offenkundig verkatert in einem Gespräch mit Mandanten, wobei es immer wieder zu kleinen Irritationen wie ungewöhnlichen Verhalten kommt. Diese Irritationen eskalieren jedoch, da die erfahrenere der beiden Anwältinnen Halluzinationen und damit verbunden einen Kontrollverlust erleidet. Vorboten sind ein verzerrter Gesichtsausdruck, filmisch wird die einsetzende Halluzination und damit der Blickwechsel hinein in die Perspektive einer der Figuren neben musikalischen Andeutungen durch einen Dolly-Zoom realisiert. Bei einem Dolly Zoom entsprechen sich Kamerafahrt und Zoom komplementär, d.h. während die Kamera sich auf das Objekt zu oder weg von diesem bewegt, vollzieht der Zoom eine Bewegung in die gegenteilige Richtung. Das Bild wird dadurch in seinen Dimensionen für den Zuschauer schwer abschätzbar und es kommt zu Schwindeleffekte; erstmals eingesetzt wurde der Effekt in Vertigo (USA 1958, R.: Alfred Hitchcock) (Link zur entsprechenden Szene), prominent kam er bspw. auch in Jaws (USA 1975, R.: Steven Spielberg) vor (Szene). In Hangover in High Heels markiert diese Technik sehr gut das Herausfallen aus der alltäglichen Weltwahrnehmung durch die Protagonist, sie verliert die für sie so entscheidende Kontrolle:
Abbildung 3:Nachwirkung des MDMAs in 'Hangover in High Heels' (Deutschland 2015, R.: Sven Bohse). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Konkret sieht sie in ihrer Halluzination ihre Mandanten eine Art archaisch-rituelle Handlung vollziehen, sie klopfen sich mit der Faust rhythmisch auf den Oberkörper, woraufhin sie die Taten nachahmt, wobei sie sich während der Nachahmung nicht mehr nur in der Imagination aufhält. Die ganze Szene ist eher humoristisch gestaltet, etwas freier interpretierend könnte man aber auch hier eine subtile Kritik an der rückwärtsgewandten Weltsichten vieler männlicher Figuren des Films ausmachen, die die Attribute des 'klassischen Machos' voll ausfüllen.
Zum Abschluss sei noch kurz auf die finale Szene des Films eingegangen, die sich tendenziell eher als Abspann präsentiert und dem Zuschauer endlich Ausschnitte aus der vergessenen Partynacht zeigt, wobei in den Ausschnitten die eigentlich handlungsrelevanten Szenen immer noch ausgespart werden:
Abbildung 4:Abspann 'Hangover in High Heels' (Deutschland 2015, R.: Sven Bohse). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
In schnellen Schnitten sind ekstatisch Feiernde zusehen, die dynamische Kamera fängt schnappsschussartig Augenblicke der Partynacht ein, die sich weniger durch ihren Handlungs- und mehr durch ihren Affektgehalt auszeichnen. In der ästhetischen Gestaltung ist das Gegenlicht auffällig, wobei das Bild auffallend nüchtern und graulastig wirkt, hierzu passt, dass das Gegenlicht und auch die Nebelschwaden eher im Hintergrund sind und nicht wie in anderen Filmen einen Großteil des Bildes dominieren. Ursache hierfür ist mutmaßlich ein sehr starkes Führungslicht, wodurch die Bilder wie unter Blitzlicht aufgenommen wirken und eben hierdurch den Schnappschusscharakter erhalten. Etwas mutmaßend ist diese Hochglanzoptik vielleicht auch eine Konsequenz der zeitgenössischen Feierkultur, die durch die Fototechnik moderner Handys keinesfalls mehr in unterbelichteten und verschwommenen Fotos festgehalten wird. Inhaltlich verweist die Szene jedoch auch auf eines der positiven Merkmales des Rausches: Er kann Gemeinschaften stiften und so Menschen verbinden, so wird diese Partynacht in Hangover in High Heels letztlich zur Initialzündung der 'Verbrüderung' der beiden Anwältinnen gegen das diskriminierende Gebären ihrer männlichen Kollegen.

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