Samstag, 18. Oktober 2014

UFC - Vice: "Hooligans"

Vor kurzem stieß ich auf einen Artikel des Magazins Vice über die Kultur der Hooligans in der Ukraine. Vice ist in letzter Zeit vielfach durch seinen oft subjektiven und reißerischen Stil aufgefallen, thematisch fällt die Wahl hier (erstaunlich) oft auf das Thema Drogen, weswegen das Magazin hier wohl noch des öfteren Beachtung finden wird. Der Artikel "Hooligan" befasst sich jedoch mit weniger mit Drogenrausch als vielmehr mit Blutrausch. Der Autor begleitete geraume Zeit verschiedene ukrainische Hooligangruppen und stellt nun neben deren Struktur gerade deren Einfluss auf die Jugend dar; es geht um Gewalt, Macht und letztlich um den Kampf um Anerkennung. Jenseits dieser eher soziologischen Fragen sind mir jedoch die Fotos zum Artikel aufgefallen, die mich stark an die Bilder der UFC erinnerten:
Abbildung 1: Gegenüberstellung Kampfszene Hooligans & UFC. Quellen: Oberes Bild: http://www.vice.com/de/read/hooligans-0000833-v10n9/?utm_source=vicefb (Fotograf: Andrew Lubimov); Unteres Bild:
Screenshot aus: "Top 20 Knockouts in UFC History" (Quelle: http://www.youtube.com/watch?v=LWE79K2Ii-s); Zusammenstellung Henrik Wehmeier.
 Beide Bilder zeigen einen beinah unkontrollierten Angriff: Der Kämpfer stürzt sich wild auf sein Gegenüber (wobei eingeschränkend erwähnt werden muss, dass ich nicht sagen kann, inwiefern das obere Bild inszeniert ist). Es zeigt sich eine Gemeinsamkeit der beiden Aktivitäten: Die klassische Sportregel, dass man einen am Boden liegenden Gegner nicht angreift, gibt es nicht. Hierdurch büßt man gewissermaßen einen natürlichen Schutzraum ein: Man muss seinen Körper bis zum Letzten aufs Spiel setzen. Es kommt zu einer archaischen Gegenüberstellung, die ungezähmten Kräfte prallen aufeinander, erst der Verlust des Bewusstseins (oder im UFC alternativ das Abklopfen) befördert einen nicht nur aus der Wachheit sondern auch aus der Gefahrenzone, d.h. aus dem Kampf. Durch dieses radikalen Riskieren des eigenen Körpers sind auch die Spuren des Kampfes - mindestens bei der Niederlage - nicht zu tilgen. Auch hier zeigt sich die Radikalität der beiden Aktivitäten:
Abbildung 2: Gegenüberstellung Kampfspuren Hooligans und UFC. Quellen: Obere beiden Bilder: http://www.vice.com/de/read/hooligans-0000833-v10n9/?utm_source=vicefb (Fotograf: Andrew Lubimov); Mittleres Bild:
Screenshot aus: "Top 20 Knockouts in UFC History" (Quelle: http://www.youtube.com/watch?v=LWE79K2Ii-s); Unteres Bild: Screenshot aus " UFC Joe daddy stevensons nasty cut" (Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=eJYyCc3orNE); Zusammenstellung Henrik Wehmeier.
Der Kampf schreibt sich so unweigerlich in den Körper ein, wird zur lesbaren Spur; als Riss in der Haut, als Schwellung unter der Haut, als Deformation der Knochen. Und auch Blut gehört unausweichlich dazu, gerade bei der UFC scheint es kein unwesentlicher Faktor zu sein. Auf den ersten Blick erinnern diese wirklichen körperlichen Verletztungen sofort an die Diskurse zur Performativität; wenn etwa Hans-Thies Lehmann in seiner Abhandlung zum "Postdramatischen Theater" die Ästhetik des Risikos lobt: "Führt nicht jetzt schon die Mißachtung spontaner Regungen [...] zugunsten ökonomischer Zweckrationalität zu ebenso offensichtlichen wie unaufhaltsamen Desastern? Im Lichte dieser Beobachtung des fortschreitenden Ausfalls unmittelbar affektiver Reaktion fällt der Kultivierung des Afektiven, dem 'Training' einer von rationalen Vorerwägungen nicht gegängelten Emotionalität wachsende Bedeutung zu. Aufklärung allein reicht nicht aus." (Hans-Thies Lehmann: Postdramatisches Theater. 5. Auflage. Verlag der Autoren: Frankfurt a.M. 1999. S. 472.)
Die Beschwörung des Realen, Wirklichen, wie es Lehmann hier in Bezug auf das Theater vollführen will, ist bekanntermaßen zu einem Bild in vielen gegenwartskritischen Theorien geworden. Die ökonomisierte und medialisierte Gegenwart wird zur Scheinwelt, die den Menschen ganz gefangen nimmt, Guy  Debord spricht von der "Gesellschaft des Spektakels", Jean Baudrillard von der Allgegenwärtigkeit des Simulacrums. Die riskanten Kämpfe der Hooligans bzw. der UFC könnten hier als Rückeroberung des Realen angesehen werden, als Einbruch der Wirklichkeit. Der Schmerz, das Blut, der Kampfrausch sind wirkliche Gefühle, nicht mehr nur virtuell erlebte, normierte Erlebnisse - ein Motiv, wie es im Roman bzw. Film Fight Club umfassend ausgeführt und probiert wird.
Passend dazu wird die UFC dann gerne als Gegenbild zum Wrestling gesehen, wirklicher Kampf trifft auf Theater, Performativität auf Inszenierung. Das reale Blut ist Garant dieser Unterscheidung, die übertriebene Härte Beweis, dass es hier etwas Reales zu erleben gibt, dessen Ausgang so offen ist, dass sich theoretisch sogar lebensbedrohliche Situationen ergeben können. Das ganze Geschehen findet immerzu an der Grenze des Erträglichen statt, wodurch es seine Authentizität erhält. Ähnlich bei den Hooligans, wo die Regelosigkeit des Ackers dem doppelten Boden des Rings gegenübersteht.
Das sind jetzt sicherlich sehr überzeichnete Kontraste und Klischees der jeweiligen Aktivitäten. Aber hierdurch lässt sich vielleicht der Reiz des Blutrausches erklären: er wird zum Gegenpol der Rationalität, zum Unkontrollierbaren innerhalb der immer schon geplanten, immer schon vorhersehbaren Welt. Und er kann eben nicht mehr nur gespielt werden, nicht mehr repräsentativ inszeniert werden. Vielmehr kann man nur Räume eröffnen, wo er sich ereignen kann. Und so ist eine Form des Auftretens eben auch das Zeigen: er zeigt sich in der ungeheuerlichen Tat (dem Angriff auf den Wehrlosen) und er zeigt sich (z.T. im Nachhinein) als Spur auf den Körpern. Als deformierter Körper, der nur auf sich selbst verweisend eine Ahnung der Kräfte preisgibt, die an ihm wirkten. Dieses erklärt vielleicht, warum in der UFC die Blutspuren im Ring nicht weg gewischt werden, warum mit klaffender Wunde weiter gekämpft werden darf und warum die Hooligans ihre nicht verarzteten, nicht kaschierten Wunden präsentieren.


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