Realisiert wird dies durch den Rückgriff auf die Metapher des Spiegels, konkret ist die Rede vom "Vater aller Spiegel", also eine dem lyrischen Ich deutlich überlegenden Macht, die es gefangen nimmt. Im klassischer Verführerpose flüstert es dem lyrischen Ich Schmeicheleien ins Ohr ("du bist das schönste Kind, von allen"); das Kokain wird hier also zum verklärenden Spiegel, der dem realistisch-pessimistischen Ich ein besseres gegenüber stellt und es so bekämpft ("die weiße Fee spannt ihren Bogen / Schießt meiner Sorge ins Gesicht").
Im weiteren Verlauf intensiviert sich das Verhältnis zwischen lyrischem Ich und "weißer Fee" jedoch, die distanzierte Spiegelung entwächst zur gewaltsamen Paarung. Das lyrische Ich wehrt sich im Folgenden zwar noch gegen die Wehen, muss dann aber, in erneut aufgespaltener Perspektive, die Geburt mit verfolgen. Anschließend kommt es durch den Verzehr der Nachgeburt zur größtmöglichen Vereinigung mit Resultat der Verbindung des Ichs mit dem Kokain. Hierdurch (wie auch die Kürzung des Refrains um die ersten beiden Verse) wird im Folgenden der Bezug des Refrains unklar: Ist es noch der Kokainrausch, der zum lyrischen Ich redet? Oder redet das lyrische Ich jetzt vielmehr zu dem eigenen Kind? Im letzteren Sinne könnte der Ausdruck "wie mein Eigenblut" auf die suchtbedingte Selbstentfremdung verweisen, die durch das Spiegelmotiv angedeutet wird und der Ausdruck "Kind" entsprechend als Metapher für die Sucht verstanden werden, die das Resultat der Drogeneskapaden des lyrischen Ichs ist.
Im Ganzen zeigen sich hier also Paralleln zum Gedicht von G. Benn: Der Kokainrausch zeigt sich in Auflösungstendenzen, das Ich entrückt sich selbst, indem es bei Benn formlos und bei Rammstein im Spiegelbild gebrochen wird. Der Text von Rammstein wirkt jedoch deutlich negativer, die Droge wird gewaltätig, quält das lyrische Ich durch die Nacht und vergewaltigt es. Wichtigstes Motiv hierfür ist neben dem Spiegel- das Verführermotiv, der "Vater aller Spiegel" flößt dem lyrischen Ich eine ins Positive verklärte, illusionistische Selbstsicht ein (wichtig hier die zustimmende, gewillte Haltung des Verführten). Als Preis der Vereinigung kommt es zur distanziert wahrgenommenen Geburt eines gemeinsamen Kindes (in diesem Sinne der Sucht), wobei der verzweifelte Akt der Verzehrung der Nachgeburt nicht darüber hinweg helfen kann, dass dieses Kind am Ende nur in der Illusion als (bzw. für das) eigenes Blut gehalten werden kann und nur in dieser das Böse gut ist, welches letztlich wohl seine Essenz ist.
Rammstein: "Kokain"
Sind die Freunde mir gewogen / die weiße Fee spannt ihren Bogen
Schießt meiner Sorge ins Gesicht / und aus den beiden Hälften bricht
Der Vater aller Spiegel
Refrain: er winkt mir und ich beug mich vor / er flüstert leise in mein Ohr
du bist das schönste Kind, von allen / ich halt dich wie mein eigen Blut
du bist das schönste Kind, von allen / In mir ist auch das böse gut
Die Neugier meinen Traum verlängert /die weiße Fee sie singt und lacht
hat gewaltsam mich geschwängert / Und trächtig quält mich durch die nacht
der Vater aller Spiegel
Refrain
und wie ich mich der wehen wehre / auf dem Kindbett noch gehurt
Seh dabei zu wie ich gebäre / und fress' die eigne Nachgeburt
du bist das schönste Kind, von allen / ich halt dich wie mein eigen Blut
du bist das schönste Kind, von allen / In mir ist auch das böse gut
Wdh.
Quelle: http://www.magistrix.de/lyrics/Rammstein/Rammstein-Kokain-111560.html
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