Dienstag, 21. Oktober 2014

Charles Bukowski: "Post Office" (I)

Es war nur eine Frage der Zeit: Unumgänglich für die Beschäftigung mit Rausch ist der Schriftsteller Charles Bukowski, der in seinen oft autobiographisch geprägten Werken sein Alter Ego Henry Chinaski eine Unzahl an Alkoholräuschen erleben lässt. Diese Vereinigung von ewigem Außenseitertum und Alkoholsucht zeigt sich u.a. in dem Roman Post Office (Der Mann mit der Ledertasche). Neben der umfassenden Abrechnung mit der amerikanischen Post als Arbeitgeber handelt der Roman vom Alltag Chinaskis, dessen schier endloser Strom aus Trunkheit und Sex neben Besuchen auf der Rennbahn nur von den Tätigkeiten des Postausteilens bzw. später des Postsortierens unterbrochen wird.
In diesem Sinne nicht weiter verwunderlich, dass der obligatorische Kater zum ständigen Begleiter des Berufsalltages wird: "Ich hatte einen fürchterlichen Kater [...]" (Charles Bukowski: Der Mann mit der Ledertasche. 2. Auflage. Kiepenheuer & Witsch: Köln 2006. S. 22.), "Ich war wieder verkatert [...]" (ebd. 42), "Nun, ich kam nach wie vor mit einem Kater zur Arbeit [...]" (ebd. 53) etc. Die Ursache hierfür ist denkbar naheliegend:

   "Als neuer Mann mußte man stets mit Überraschungen rechnen, vor allem, wenn man wie ich den  ganzen Abend soff, um zwei ins Bett ging, um halb fünf aufstand, nachdem man die ganze Nacht gevögelt und gesungen hatte [...]" (ebd. 22).

Aus dieser Kombination aus Arbeitsmoral und nächtlichem Exess ergeben sich Roman eine Unzahl an satirisch-ironisch überzeichneter Anekdoten, die den Schreibstil des Werkes prägen. In ihrer Leichtigkeit kontrastieren sie jedoch die harten Folgen des Alkoholismus. Der Ich-Erzähler spricht selbst meist nur von körperlichen Folgen, die er zum gleichen Anteil der anstrengenden Arbeit zuschreibt ("Whisky und Bier kamen aus allen Poren, flossen aus den Achselhöhlen, und ich quälte mich schwerbeladen dahin, als habe ich ein Kreuz auf dem Rücken [...]." ebd. 42). Dass der Alkohol längst das Leben des Helden beherrscht, zeigt sich an oft nur an kurzen Äußerungen: 

"Um sieben drehte sich Stone [Chinaskis Vorgesetzter] um. 
'Es gibt heute nichts für Sie, Chinaski.'
Ich stand auf und ging zur Tür. [...]
[...] Ich ging hinunter zum Spirituosengeschäft und kaufte mir eine kleine Flasche Whisky, Marke Grandad, zum Frühstück." (ebd. 36)

Der Alkohol strukturiert folglich den Tag Chinaskis, die Arbeit wird ausgeführt, um ihn zu finanzieren. Es drängt sich entsprechend die Frage auf, welche Funktion der Alkohol eigentlich im Roman einnimmt. Auf der einen Seite sicherlich als Ausdrucksmittel des Außenseitertums. Er verortet sich an den Gegenorten der Bürgerlichkeit: in abgeranzten Kneipen, auf der Pferderennbahn. Er ist die Revolte gegen die Eintönigkeit des bürgerlichen Lebens (wobei hier Bürgertum ganz allgemein das Nachgehen eines festes Jobs und die Verankerung in einer Familie meint), Ausdrucksmittel des Selbstauslebens in den Tag hinein.
Auf der anderen Seite ist er zugleich aber auch Symbol der Niedergangs, der Betäubung. Prototypisch offenbart sich dieses zweite Gesichts des Alkohols in einer anderen Szene:

"Vi [eine Gelegenheitsbekanntschaft Chinaskis] stand in der Küchentür.
'Trink ja nicht soviel! Du weißt, was wir zu tun haben!'
'Keine Angst, Baby, ich heb schon was für dich auf.' [...]
Im Bett brachte ich ihn zwar hoch, konnte aber damit nichts anfangen. Ich knüppelte und ich knüppelte und ich knüppelte. Vi war sehr geduldig. Ich mühte und plagte mich, aber ich hatte zuviel getrunken.
'Tur mir leid, Baby', sagte ich. Dann wälzte ich mich herunter und schlief ein. [...]
'Laß dir keine grauen Haare wachsen. Es lag nicht an dir. Es war der Alkohol. Es ist mir schon öfter passiert.'
'Na schön, aber du solltest dann eben nicht so viel trinken. Keine Frau läßt sich gern von einer Flasche versetzen.' (ebd. 131-133)

Als körperliche Dysfunktion tritt der Alkoholismus hier ganz konkret zwischen den Held und seine Umwelt, er verhindert die Vereinigung mit dem Anderen und stößt ihn in sich selbst zurück. Hiervon ist jede Beziehung von Chinaski zu seinen Mitmenschen betroffen: Es handelt sich immer um lose Bekannschaften, die meist nur durch Sex und gemeinsame Trinkexzesse zusammengehalten werden. So bleiben alle anderen Außenseiterfiguren, denen Chinaski begegnet, letztlich gescheiterte, in die eigene Leere stürzende Menschen. Beispielhaft dafür Betty: "Da war Wein, Wodka Whisky, Scotch. Die billigsten Sorten. Die Flaschen füllten das ganze Zimmer. [...] 'Wenn du das ganze Zeug hier trinkst, bist du tot!.' Betty blickte mich nur an. Ich erkannte alles in diesem Blick. [...] Ich beugte mich vor und küßte sie zum Abschied." (ebd. 118/119).
Es bleibt die Frage nach den Ursachen des Alkoholismus. So geht es hier sicherlich auch um Gesellschaftskritik, Chinaski bekommt zwar immer wieder verschiedene Postjobs angeboten, die allerdings (zumindest in seiner Schilderung) kaum menschenwürdig sind und letztlich kaum ohne Alkohol zu ertragen wären. Der Alkohol wäre in diesem Sinne die einzige Betäubung eines schmerzhaften Lebens, wobei der Alkoholkonsum zugleich zirkulär dazu führt, dieser Existenz niemals zu entkommen. Gleichzeitig verweist der lakonische Stil auf die Resignation, der Held erkennt in der Welt keine höheren Ziele, nach denen es zu Streben gilt, es gibt keine übergeordneten Instanzen, die ihm Sinn stiften können. Dieses erinnert an Siegfried Kracauers Feststellung der "transzendentalen Obdachtlosigkeit": Das Sein hat seine Metaerzählungen wie Relgion oder Ideologie verloren. Chinaski präsentiert sich als derjenige, der dieses durchschaut hat, und nicht wie alle anderen dem Irrtum obliegt, materieller Sicherheit wie dem eigenen Haus oder auch den neuen Kleidungsstücken eine Bedeutung zuzumessen, da sie letztlich nur leere Dinge in einer leeren Welt sind. Er gibt sich stattdessen ganz desillusioniert dem Hedionismus hin. Dass dieser Alkoholkonsum jedoch kaum noch etwas mit Befreiung zu tun hat als vielmehr zur fortschreitenden Betäubung und inneren Isolierung wird, wird von ihm zwar auf der einen Seite als Ich-Erzähler nicht wirklich kaschiert, Einsicht scheint aber im Gegenzug auch nicht erkennbar zu sein. Lediglich vielleicht in der letzten Szene, wenn er mit seinem Postjob die vermeintliche Ursache für seine Resignation aufkündigt.

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