Entsprechend kann man wohl auch den Großteil der Literatur, in welche das Sujet der Liebe vorkommt, im Hinblick auf den Liebesrausch untersuchen. Trotz der sehr großen Menge an Literatur, auf die man hier voraussichtlich stößt, würde ich doch mutmaßen, dass der Begriff des Liebesrausches eher selten vorkommt. Einer dieser eher seltenen Fälle stellt der Roman Mein Name sei Gantenbei von Max Frisch dar, von dem in diesem Beitrag ein Ausschnitt behandelt werden soll. Der Roman selbst, erschienen 1964, fällt durch seine ungewöhnliche Form auf: Der Erzähler probiert in loser Aneinderreihung, wie er selbst schreibt, Geschichten wie Kleider an. Konkret imaginiert er verschiedene Identitäten und spielt diese durch. Es geht um die Frage, wie sich die konkrete Erfahrung mit übergeordneten Erzählung vereinbaren lässt, letztlich also um die Frage nach den Zusammenhang von Sprache bzw. Identität und Welt. In einem dieser Identitätsentwürfe geht es nun um den Lebensrausch. Der Abschnitt ist etwas länger, soll hier jedoch in Gänze wiedergegeben werden, da sehr interessante Gedanken zum Thema (Liebes)Rausch enthält:
"Eine Geschichte für Camilia:
Ein Mann und eine Frau, als der erste Rausch der unpersönlichen Liebe verrauscht war, erkannten, daß sie wie für einander geschaffen waren. Sie verstanden einander so trefflich. Nur war der Rausch eben verrauscht. Und so lebten sie zusammen, nicht übermütig, aber ohne Zerwürfnisse. Nur manchmal geschah es, daß er die Umarmung, während sie stattfand, wie von außen sah, als sitze er in einem Sessel daneben oder als stehe er grad am Fenster, er hatte Gedanken, wie wenn man auf die Straße hinausschaut, also keine schlimmen, aber Gedanken, dann wieder war er eins mit sich und mit ihr, und später, wenn wenn sie einen Tee kochte, rief er sie mit ihrem Kosenamen, und als sie den Tee eingoß, sagte er, daß er sie liebe. Es war durchaus wahr. Und ihr ging es wahrscheinlich ebenso. Auch sie liebte ihn, nur ihn, wenn auch anders als im Anfang, persönlicher, Sie waren unzertrennlich, sie reisten zusammen. Einmal, in einem Hotel, war er bestürzt, als er die Umarmung, während sie stattfand, in einem Spiegel sah, und froh, daß es sein Körper war, mit dem sie ihn betrog, und er schaute in den Spiegel, in dem er sie ebenso betrog. Es kam zu Krisen über Lappalien. Dabei liebten sie einander. Eines Abends, später, saß er eine Zeitung lesend, während sie im Bett lag; er hatte Gedanken, alltägliche, wie er sie manchmal in der Umarmung heimlich hatte, aber er saß tatsächlich in dem Sessel; sie schlief, er konnte sich, von jenem Spiegel belehrt, ohne weiteres vorstellen, wie ein andrer sie umarmt, und saß daneben, keineswegs bestürzt, eher froh um die Tilung seiner Person, eigentlich heiter: Er möchte nicht der andere sein. Zeitung lesend, während sie schlief und vielleicht träumte, was er sich von außen vorstellte, war er eins mit seiner großen Liebe. Sie hießen Philemon und Baucis: Das Paar."
(Quelle: Max Frisch: Mein Name sei Gantenbein. Suhrkamp Taschenbuch 286. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1975. S. 211.)
Gleich zu Beginn befasst sich der Abschnitt mit dem Thema des Liebesrausches: So wird dieser als "unpersönliche" Liebe aufgefasst, die "verrauscht". Schon durch die unbestimmten Artikel zu Beginn wird deutlich, wie fremd sich die Liebenden zu Beginn ihrer Liebe eigentlich sind. Sie berauschen sich letztlich an den eigenen Gefühlen, wobei der Andere zunächst einmal nichts anderes als Projektionsfläche ist - so würde ich das Unpersönliche auffassen. Es folgt die Erkenntnis der Ähnlichkeit, also der Übergang in den Status einer Beziehung, die eher von rationalen Überlegungen geprägt ist. Interessant hier die Doppeldeutigkeit des verrauschens: Ganz sinnbildlich belegt kein affektives Rauschen mehr die Wahrnehmung, der Blick wird klar.
Entsprechend wird der Verlauf der Beziehung beschrieben: Man versteht sich trefflich und lebt ohne Zerwürfnisse. Die neue Pragmatik zeigt sich in den parataktischen, kurzen Sätzen, und erfährt dann ihre erste Erschütterung, rein sprachlich durch einen nicht enden wollenden Satz ausgedrückt. Fasst schon im Stile des Bewusstseinsstroms versucht der Erzähler das eigentlich nicht zu fassende zu beschreiben, und zwar die Aufspaltung des eigenen Ichs. Der Moment der größten Intimität wird wie von außen erlebt, die Unmittelbarkeit geht verloren und so verflüchtigt sich nach dem emotionalen Rausch auch noch der körperliche Rausch. Stattdessen befallen ihn die als regelrecht wesenslos und unumgänglich auftauchenden Gedanken, d.h. er gibt sich dem Intellektuellen statt dem Körperlichem hin. Der Liebesspruch, in der Idylle des Teekochens, scheint jegliche Romantik abgestreift zu haben.
Entsprechend ist er auch nur "durchaus" wahr. Ebenso tritt die doppelte Bedeutung des Unzertrennlichen hervor als Gefangen sein und also als Verlust der Eigenständigkeit. Selbst die Reise, also der Moment des Ausbruches, wird zusammen vollzogen. Es folgt der erneute (sprachliche) Ausbruch, die Spiegelung der Umarmung entsetzt ihn. Es bleibt ein bisschen die Frage, was hier eigentlich das Entsetzende ist: Die Art wie sie vollzogen wird? Oder die Erinnerung an die zuvor erfahrene Distanz und Entfremdung auf körperlicher Ebene? Zumindest ist der noch froh, dass es kein Anderer ist.
Interessant ist hier der Rückgriff auf das Motiv des Spiegels, welches ja schon bereits mehrfach in seiner engen Verbindung zum Rausch deutlich wurde. Auch hier tritt das Spiegeln wieder als Ernüchterung auf, als Gegenpol zum Rausch. In dieser Szene wird er genutzt um zu zeigen, wie weit sich das denkende Ich vom körperlichen bereits entfernt hat. Die Doppelung wird hier als Aufspaltung zwischen Innerlichem und Äußerlichem genutzt.
Kurz darauf entfaltet der Erzähler dann die umfassende Bedeutung dieser Spiegelerfahrung: Der Liebende nutzt sie regelrecht, um sich vorzustellen, wie er durch einen anderen ersetzt wurde. Folgerichtig ist er froh um diese Tilgung, tilgt sie doch nur das Körperliche aus, von dem er sich längst distanziert hat. Der Text vollzieht dann jedoch eine interessante Wendung. Anstatt dass dieser Vorgang zur endgültigen Trennung zwischen beiden wird, wird er zur Verbindung, da es mutmaßlich in beiden strukturgleich vorgeht. Etwas unklar ist mir, was genau die Geliebte träumt; mutmaßlich von der Beziehung mit einem Anderen in weniger distanzierter Weise.
Dieses würde dann das endgültige Ende des Rausches erklären. Statt sich an den eigenen Gefühlen berauschen zu wollen, hat man die Verbindung in eine pragmatische Beziehung transformiert. Die Einsicht, dass das Körperliche in dieser nicht mehr notwendig etwas Exklusives ist, da das Verbindungsglied der Liebe zwischen beiden auf ganz anderen Aspekten beruht, ist in diesem Sinne nur logisch. So kann die Liebe auch im Moment des Betrugs groß sein.
Offen bleibt hier nur, worin sie eigentlich Einswerden: in dieser gemeinsamen Einsicht? Oder in der Einsicht in die Unsinnigkeit des emotionalen Rauschens, welches durch die falsche Spiegelung der Körper die wahre Spiegelung verdeckt: und zwar die Spiegelung des gemeinsamen Denkens und Lebens, d.h. die Ähnlichkeit zwischen ihnen. In diesem Sinne könnte die Beziehung beispielhaft für eine nicht mehr romantische Stehen, für eine andere Art der Zuneigung, jenseits des Rausches.
Alternativ kann diese Wendung auch als resignative, illusionäre gelesen werden: Die Vereinigung verstanden als lediglich imaginierte. Erzählung und Erlebnis fallen nicht mehr in eins. So ist noch die Rede von Philemon und Baucis, die als Sinnbild des harmonischen Paares angesehen werden. Doch schon die Interpunktion verweist auf den losen Zusammenhang zwischen diesem idealisierten Konzept und der Rede vom Paar. So schwebt die Zweisamkeit im Vakuum, so ist aus Rauschen Stille geworden und aus dem erlebten Fühlen eine fremdes Spiegelbild. So werden die alltäglichen Handlungen zu Handlungen von Liebenden, doch inmitten dieser klafft ein Abgrund: Der Sturz ins eigene Ich, das seine Äußerlichkeit, d.h. seine Verlängerung in die Welt, austilgen will und spürt, wie die gemeinsame Liebe als etwas Vergangenes in die Gegenwart reicht, in der es aber letztlich keinen Halt mehr findet. Außer in der tradierten Erzählung: Philemon und Baucis.
Alternativ kann diese Wendung auch als resignative, illusionäre gelesen werden: Die Vereinigung verstanden als lediglich imaginierte. Erzählung und Erlebnis fallen nicht mehr in eins. So ist noch die Rede von Philemon und Baucis, die als Sinnbild des harmonischen Paares angesehen werden. Doch schon die Interpunktion verweist auf den losen Zusammenhang zwischen diesem idealisierten Konzept und der Rede vom Paar. So schwebt die Zweisamkeit im Vakuum, so ist aus Rauschen Stille geworden und aus dem erlebten Fühlen eine fremdes Spiegelbild. So werden die alltäglichen Handlungen zu Handlungen von Liebenden, doch inmitten dieser klafft ein Abgrund: Der Sturz ins eigene Ich, das seine Äußerlichkeit, d.h. seine Verlängerung in die Welt, austilgen will und spürt, wie die gemeinsame Liebe als etwas Vergangenes in die Gegenwart reicht, in der es aber letztlich keinen Halt mehr findet. Außer in der tradierten Erzählung: Philemon und Baucis.
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