Dienstag, 2. Februar 2016

Girls (Apatow Production/HBO, USA 2012- )

Die Serie Girls handelt vom Alltag von vier jungen New Yorkerinnen, die Anfang bis Mitte Zwanzig sind und ihren Weg durchs Leben suchen. Wenig überraschend tauchen hierbei immer wieder verschiedene Drogenräusche (und selbstredend auch unzählige Liebesräusche) auf, wobei der Konsum von Alkohol und Marihuana selten eine besondere Inszenierung erfährt. Anders gestaltet sich die Darstellung des Kokainkonsums, der einen Handlungsstrang der dritten Episode der zweiten Staffel ("Bad Friend") darstellt. Interessant ist dabei schon die Rahmung des Kokaintrips: Hannah, Jungschriftstellerin und quasi Hauptprotagonistin der Serie, erhält eine Beschäftigung als freie Mitarbeiterin eines Onlinemagazins und dabei als ersten Themenvorschlag einen autobiographischen Erfahrungsbericht über Kokainkonsum. Hier werden starke Assoziationen an das Magazin Vice wach, welches von einem sehr subjektiven, lockeren Stil geprägt ist und in dessen Artikeln es auffällig häufig um das Thema Drogen geht (Link). Mindestens von Produzentenseite wird also in der jungen Leserschaft ein hohes Interesse an der Drogenthematik vermutet, Drogen sind nach wie vor ein Reizthema, das zieht.
Aber zur Inszenierung des Kokainrausches in Girls selbst: Nachdem Hannah, den Themenvorschlag annehmend, die Schwierigkeit des Zugangs zum Kokain mit Hilfe ihres Nachbarn Laird gelöst hat, konsumiert sie mit ihren Mitbewohner Elijah selbiges. Während ihrer Trips durchlaufen beide verschiedene Phasen, deren Zustände durch ihre überzeichnete Inszenierung von üblichen Klischees auffallen.
Abbildung 1: Beginn der Wirkung. Quelle: Girls (Apatow Production/HBO, USA 2012- ). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.

Abbildung 1 zeigt Screenshots aus der ersten Phase, Hannah und Elijah beginnen mit dem Konsum bereits am Nachmittag und halten sich entsprechend etwas ziellos in ihrer Wohnung auf. Das Kokain löst jedoch einen enormen Tatendrang in ihnen aus, dieser zeigt sich bei Elijah körperlich in vielen und schnellen Bewegungen, eine Unruhe erfasst ihn, die insbesondere in den platonischen Körperkontakt des Massierens mündet. Bei Hannah hingegen zeigt sich diese Unruhe eher geistig, im schnellen Sprechtempo listet sie eine große Anzahl oft absurd anmutender Pläne auf, die sie jetzt endlich einmal in die Tat umsetzen will. Diese Unruhe mündet dann auch, gesteigert durch Elijah, in einer ersten ungewöhnlichen Tat. Sie hält die Pläne als Teil ihrer Recherche mit einem Filzstift an ihrer Zimmerwand fest, wobei der erste Plan bezeichnender Weise das Züchten von Showhunden ist. Zwei Motive sind also auffällig, auf der einen Seite die dem Kokain typischer Weise zugeschriebene Provokation eines Aktivitätsdranges, auf der anderen Seite der häufig den Drogen zugeschriebene Bruch mit dem Alltag. So kann das wilde Beschreiben der Zimmerwand als Enthemmung der Alltagskonventionen angesehen werden.
Abbildung 2: Phase zwei des Kokaintrips. Quelle: Girls (Apatow Production/HBO, USA 2012- ). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.

In der zweiten Phase befinden sich Hannah und Elijah bereits in einem Club, auffällig ist jetzt bei beiden der Bewegungsdrang, der sich wie in Abb. 2 deutlich wird in einem ironisch überzeichneten Schauspiel zeigt. Diese Ironie entsteht durch die wilde Bewegung des Oberkörpers bei gleichzeitigen Umklammern einer Halterung mit beiden Händen. Diese Umklammerung verweist darauf, dass sich beide dem Rausch noch nicht ganz hingeben, der Übergang hierzu vollzieht sich erst durch das Betreten der Tanzfläche. In ihrem Gespräch offenbart sich dabei eine weitere klischeehafte Wirkung des Kokains: Beide erfahren eine hohe Steigerung des Selbstbewusstseins, oder (negativ formuliert) eine Verzerrung der Selbstwahrnehmung; sie sind der festen Überzeugung das attraktivste Paar im Club zu sein. Dieses gesteigerte Selbstbewusstsein zeigt sich auch bei Hannahs Weg zur Tanzfläche, wenn sie so gut wie jeden auf ihrem Weg offensiv antanzt. Diese beiden Pole zeigen sich dann auch in Hannahs Tanzstil, der von hoher Aktivität und Selbstberührungen geprägt ist. Des Weiteren schreitet die Herauslösung aus dem Alltag weiter voran, Hannah tauscht mit einem Mann auf der Tanzfläche ihre Kleidung und trägt anschließend ein grell gelbes Netztop. Auch diese Handlung kann als Enthemmung gelesen werden, wenn sie etwa bei Austauschen der Oberteile keine Regungen macht ihren nackten Oberkörper zu verbergen und auch der Kleidertausch mit einer gerade erst gemachten Bekanntschaft wohl nicht wirklich alltäglichen Konventionen entspricht.
Abbildung 3: Phase drei: erste Enthemmung. Quelle: Girls (Apatow Production/HBO, USA 2012- ). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.

Die dritte Phase kann dann als Eskalation dieser Enthemmung gelesen werden. Diese zeigt sich schon bei der Form des erneuten Kokainkonsums: Wie Abb. 3 zeigt schniefen beide die Droge direkt von der Toilettenschüssel, ihre Gesichter sind dabei von einem verzerrten Grinsen geprägt. Ebenso werden ihre Bewegungen auf der Tanzfläche deutlich ausschweifender und erfahren auf der ästhetischen Ebene einen Bruch mit dem konventionellen Inszenierungsstil der Serie. Dieses zeigt sich auf der Tonebene durch die Ausblendung aller intradiegetische Töne, d.h. alle Geräusche wie z.B. Unterhaltungen werden getilgt und wir hören nur (vermutlich extradiegetisch) eingespielte Musik, deren Lautstärke im Vergleich zu der vorherigen Szene deutlich erhöht ist und die sich durch einen dominanten, progressiven Beat auszeichnet. Auch die Kameraeinstellungen sind sichtlich verändert, in Frontalperspektiven wird der Zuschauer mit Großaufnahmen von Hannah und Elijah konfrontiert, verbunden durch harte Schnitte. Gerade hier zeigt sich ein Unterschied zu den restlichen Folgen der Serie, die sich durch wenige Schnitte auszeichnen und sehr selten Nahaufnahmen einsetzen. Die Affekte der Figuren dominieren hier also deutlich die formale Gestaltung, verstärkt wird dieses durch den Einsatz von Zeitlupe. Auch die weiteren Kameraeinstellungen zeichnen sich durch eine hohe Nähe zu den Figuren auf, im Ganzen ist also auffällig, dass die Kamera ihr übliches, dezentes Auftreten hinter sich lässt. Eine mögliche These wäre hier, dass durch diese Art der Gestaltung die körperliche Enthemmung herausgestellt wird.
Abbildung 4: Phase vier: zwischenmenschliche Eskalation. Quelle: Girls (Apatow Production/HBO, USA 2012- ). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.

Die sozusagen geistige Enthemmung folgt dann in Phase vier, die mit einer deutlich unauffälligeren Kamera inszeniert wird. Auch wenn die Körper der beiden Figuren immer deutlich vom Kokaintrip gezeichnet sind (sie sind schweißnass, Kleidung und Frisur sitzen schief etc.), passiert das Interessante hier auf der zwischenmenschlichen Ebene. So beichtet Elijah Hannah, dass er vor kurzem mit ihrer Freundin Marnie geschlafen habe, was insofern irritiert, als dass sich Elijah vor geraumer Zeit als homosexuell outete. Es zeigt sich hier ein weiteres Klischee des Drogenkonsums, Elijah verliert seine Selbstbeherrschung und beichtet das im Alltag unterdrückte Geheimnis. Das Ganze ist drogentypisch inszeniert, da Elijah ausführt, dass er das Gefühle habe jetzt total ehrlich sein zu müssen. Hannah wühlt diese Information sehr auf, sie bekommt Hitzewallungen, woraufhin sie ihren Kopf unter einen Wasserhahn hält (Abb. 4) und anschließend unruhig und hektisch umherläuft.
Abbildung 5: Phase fünf: das Ende. Quelle: Girls (Apatow Production/HBO, USA 2012- ). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.

Es folgt Phase 5, das Ende des Trips. Elijah und Hannah befinden sich in einem Supermarkt, um nach Vitamintabletten zu suchen, Hannah ist immer noch in Rage über die neue Erkenntnis. Elijah regt diese Rage wiederum auf und er wirft Hannah vor egozentrisch zu sein; es wird also deutlich wie die Offenbarung der bisher unterdrückten Spannungen hier eine neue, umfassendere Stufe erreicht. Dieser Streit endet dann wiederum in einer kurzen körperlichen Eskalation: Hannah zieht Elijah für einen Kuss an sich heran, um ihn Sekunden später wieder wegzustoßen (Abb. 5.). Die Offenbarungen gehen dann munter weiter, Hannah sucht Marnie auf, um sie zu konfrontieren bzw. sich grundsätzlich mit ihr auszusprechen. Hiermit ist dann auch das Ende des Trips sowie der Folge erreicht, Hannah wirft Elijah aus der gemeinsamen WG. Interessant ist jedoch noch das Schlussbild der Szene, Hannah küsst ihren Nachbarn Laird, von dem sie das Kokain kaufte und mit dem sie jetzt, wie sie selbst sagt, aus Recherchegründen die Nacht verbringen will.
Abbildung 6: Im Rausch der Bilder. Quelle: Girls (Apatow Production/HBO, USA 2012- ). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Abschließend würde ich gerne jedoch noch kurz auf den zweiten Handlungsstrang dieser Folge eingehen, der in meinen Augen eine andere Art des Rausches darstellt. Marnie trifft in diesem den Künstler Booth Jonathan und begleitet ihn in dessen Haus. Dort führt er ihr ein Kunstwerk von sich vor, welches aus einer Art Zelle besteht, die turmartig aufgebaut ist und innen mit Fernsehern ausgestattet ist (Abb. 6). Er schickt Marnie in das Gebilde und schließt sie hier ein, anschließend prasseln aus allen diesen Bildschirmen verschiedene Bilder auf Marnie ein. Sie versucht Booth durch Schreien zum Ausschalten zu bewegen, dieser reagiert jedoch nicht. Auch diese Szene ist formal ungewöhnlich gestaltet, es gibt statische Nahaufnahmen auf Marnie sowie verzerrte und verwackelte Detailaufnahmen der Bildschirme, die durch einen hohen Schnittrhythmus verbunden werden. Nach geraumer Zeit wird Marnie, die sichtlich gezeichnet ist, von Booth freigelassen, woraufhin sie etwas unerwartet sein Talent lobt. In meinen Augen kann hier die Frage aufgeworfen werden, ob es sich parallel zum Kokainrausch hier um eine Art Medienrausch handelt, Marnie wird in den Rausch der Bilder geworfen und erleidet ähnliche Extremzustände wie Hannah und Elijah. In dieser Lesart würden uns also in der Folge zwei Rauscharten begegnen, in denen jeweils die Figuren ihren Alltag hin in Richtung Extremzustände verlassen, was u.a. auf formaler Ebene mit einem Bruch mit den Darstellungskonventionen der Serie korreliert.

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