Montag, 8. Juni 2015

"Dumbo"

Auch im Animations- bzw. Zeichentrickfilm ist die Darstellung von Rausch immer wieder ein Thema, ein sehr prominentes Beispiel hier für ist der frühe Disney Film Dumbo (R.:  Samuel Armstrong, Norman Ferguson et. al.; USA 1941), der eine auffällig lange und künsterlisch überaus interessante Rauschszene beinhaltet. Dumbo, ein junger Elefant der aufgrund seiner zu großen Ohren nicht im Reigen der Zirkungselefanten bestehen kann und so im Zuge der tragischen Handlung wider seines Willens der Gruppe der Clowns beitreten muss, trinkt unwissend aus einem Trog, in dessen Wasser kurz zuvor eine Flasche Sekt gefallen ist. Bevor der Film jedoch den Rausch Jumbos abbildet, wird der Rausch zunächst einmal verborgen:
Abbildung 1: Feier der Clowns in "Dumbo" R.:  Samuel Armstrong, Norman Ferguson et. al.; USA 1941). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
Die trinkintensive Feier der Clowns, die ihren gelungenen Auftritt feiern, wird als Schattentheater inszeniert. So sieht man nur die Konturen der sich schnell und äußerst agil bewegenden Körper, wobei diese Körperhandlungen insofern weniger als Rausch auffallen, als das sich die Clowns bei ihrem Auftritt in der Manege ähnlich ausgefallen bewegt haben. Entsprechend werden immer wieder Flaschen gezeigt und gerade der Moment des Eingießens wiederholt inszeniert. Dass es sich hierbei um alkoholische Getränke handelt, machen nicht zuletzt die genutzten Gefäße wie Pokale und Schuhe deutlich.
Nachdem Dumbo und sein Begleiter reichlich aus dem Trog getrunken haben, was durch hängende Augenlider und eine dumpf lächelnde Mimik ausgedrückt wird, beginnt Dumbo damit, verschieden geformte Seifenblasen entstehen zu lassen. Diese verformen sich im Anschluss zu Elefanten und nehmen die Farbe Rosa an. Hierbei handelt es sich um ein kulturelles Chiffre, so bedeutet die Aussage, dass man rosa Elefanten sieht, im englischen Sprachraum das Erleiden einer alkoholbedingten Halluzination (Gene Gable setzt sich näher mit diesem eigentümlichen Phänomen auseinander: Link). Ab diesem Zeitpunkt beginnt ein regelrechtes Formenfestival:
Abbildung 2: Teil eins der Rauschszene in "Dumbo" R.:  Samuel Armstrong, Norman Ferguson et. al.; USA 1941). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.

Diese karnevaleske Figurenparade ergießt sich, wie in Abb. 1 deutlich wird, in andauernder Formentransformation. Die Formen wechseln permanent ihre Größe, sie zerfallen und bilden sich neu zusammen, wobei sie eine Art von Marsch vollziehen, der letztlich sogar durch eine Nahaufnahme Dumbos läuft. Interessant ist hier sicherlich, dass der Film zwei Jahre vor Albert Hofmanns LSD Experimenten entstand, da er Wirkungen zeigt, die eher an diese Substanz denn an Alkohol erinnern. Andererseits geht es in diesen Szenen aber wohl auch eher um eine Art künstlerisches Austoben, dass das Medium des Rausches nutzt, um sich selbst zu erkunden. So ist es sehr interessant zu sehen, wie virtuos die Formen entstehen und vergehen, wie sie sich aufspalten und wieder verschmelzen und immer wieder neu entwachsen. Sie verweisen somit in überzeichneter Weise doch wieder auf die Wirkungen bestimmter psychoaktiver Pflanzen, die vom Alltag abweichende Wahrnehmungen ermöglichen. So unterlaufen sie bspw. halluzinativ gewohnte räumliche Strukturen.
Aus dieser Ungebundenheit der räumlichen Anschauung, die dem Animationsfilm entgegenkommt, entstehen dann im zweiten Teil der Rauschszene eher beängstigende Formen:
Abbildung 3: Teil zwei der Rauschszene in "Dumbo" R.:  Samuel Armstrong, Norman Ferguson et. al.; USA 1941). Zusammenstellung von Henrik Wehmeier.
In einem fast schon alptraumhaften narrativen Fragment marschieren die Elefanten durch ein surreal anmutendes Treppenhaus, um sich anschließend um einen verängstigten, im Bett liegenden Elefanten zu formieren. Es kommt zu Umschwüngen der vertikalen Achse, auch anschließend verfließen die Formen und wechseln wild ihre Farbe. Die Phantasie entwächst hier also unkontrolliert den Zwängen der alltäglichen Wahrnehmung und überwältigt so Dumbo und seinen Begleiter, die dadurch zunehmend in eine machtlose Rolle geraten.
So kommt es, wie Abb. 2 zeigt, zwischendurch zur Auflösung jeder Form. Das Bild ist von bunten Flecken übersät, die sich damit der klaren Sinnzuschreibung entziehen. Die Elefanten selbst präsentieren sich nun deutlich düsterer, ihre Augen bestehen nur aus schwarzen Flecken, die einen eher bösartig gesinnten Charakter vermitteln. Anschließend wird das Formenspiel immer freier, aus den Elefanten werden Pyramiden, Schlangen und abschließend ein Augapfel. Jede dieser Variationen birgt eine Reihe symbolischer Anspielungen. Der auffällige Kontrast zwischen dem schwarzen, bösartig wirkenden Tierauge und dem buntgefärbten menschlichen Auge inszeniert einen deutlichen Stilbruch, wodurch das letztere Auge als Anspielung auf andere Kunstwerke erscheint. Gleichzeitig stellt es in der Verbindung mit der Pyramide eine Anspielung auf die Symbolik der Illuminati dar. Eine weitere Anspielung eröffnet sich in Zusammenhang mit der Schlange, welche im biblischen Kontext auf den Baum der Erkenntnis verweist, da das Auge ebenso als Symbol für die Erkenntnis angesehen werden kann.
Diese sehr freien Deutungen der Bilder verweisen auf ihre assoziative, schweifende Struktur. Diese Struktur wie auch die Bilder selbst erinnert mit ihrem mannifaltigen, traumartigen Gehalt stark an surrealistische Künstler wie Salvador Dalí. Die Bilder können so beispielsweise als Werk eines entgrenzten (Unter)Bewusstseins gelesen werden, das den Reglementierungen des Wachzustandes nicht länger obliegt. Sie verweisen damit auf eine assoziative Verbindung der Bildfolgen, von der die gesamte Szene stark geprägt ist.
An surrealistische Filme erinnert auch das Ende der Szene, wenn es zur Inszenierung von Geschwindigkeit kommt. Die Elefanten formen sich zu Rennwagen und Zügen und rasen sehr schnell durchs Bild, gleichzeitig ergeht sich der Hintergrund in schnellen Farbwechseln. Diese Schnelligkeit steigert sich immer weiter, unzählige Gefährte rasen durch das Bild und die Hintergrundfarbe flackert nur noch. So kommt es unweigerlich zum Kollaps, die Formen explodieren und sinken in einem malerischen Sonnenaufgangshimmel herab, wo sie sich zu Wolken verformen und damit erneut stark an die Bilder Dalís erinnern. Dieses stellt dann auch den Abschluss der Szene dar, aus den phantastischen rosa Elefanten werden, die aus dem Alltag gewohnten, rötlich gefärbten Wolken des Morgenhimmels.
Dieser Beitrag konnte selbstredend nur auf einen kleinen Teil dieser sehr reichhaltigen Szene eingehen. Auffallend ist jedoch im jedem Fall, dass diese Szene gerade durch die Rahmung innerhalb eines Kinderfilmes sehr eigenwillig und ungewöhnlich ist. Sie konfrontiert den Zuschauer mit karnevalesken Vorstellungsschauern durch Rausch enthemmter Bewusstseine und zeigt so, wie der Rausch die alltagsnormierten Strukturen der Vorstellung unterläuft.